Die Wahrheit: Der Rentenüberfall
Ich gehe nicht gern zum Briefkasten. Meistens kommt nichts Gutes dabei heraus. Ich sollte recht behalten. ...
... Ohne nach dem Absender zu sehen, riss ich den Umschlag auf. Deutsche Rentenversicherung. Ihre Renteninformation. Ich hatte nicht darum gebeten, mir Nachrichten mit so kleinen Zahlen zu schicken.
"Ihre bislang erreichten Rentenanwartschaften." Warum sprachen die im Plural? Vor allem angesichts der folgenden Summe? Meine bislang erreichte Rentenanwartschaft liegt bei 518,44 Euro. Meine letzte Autoreparatur ist teurer gewesen als meine künftige monatliche Rente. 518,44 Euro. Da werde ich später jeden Monat so richtig einen draufmachen können. Zwei Tage lang. Der Brotpreis allein wird dann wahrscheinlich schon bei 79,99 Euro liegen.
Mir wurde schlagartig klar: Ich war keine lohnende Partie. Ich war mit dem falschen Mann zusammen. Ich war einfach kein guter Partner für mich, finanziell gesehen und auf Dauer. Ich werde mich im Alter nicht ernähren können. Und eine Frau merkt das schneller als ich. Ohne Zusatzlebensversicherung verliebt sich heute niemand mehr ineinander. Mit diesen Zahlen bin ich bei jeder Partnerinnensuche hoffnungslos abgeschlagen. Man muss einer Frau doch etwas bieten können.
Mir bot ich erst einmal an, künftig manche Briefe nicht mehr zu öffnen. Inzwischen hole ich sogar meine Kontoauszüge nicht mehr ab. Ich will das Elend einfach nicht sehen. Denn beim letzten Mal musste ich feststellen, dass es bei mir finanziell aktuell noch schlechter aussieht als später mit der Rente. Was tun? Mein erster Gedanke waren Notverkäufe auf Ebay. Aber die Kurse für Billy-Regale sind dort gerade ziemlich im Keller.
Ich brauchte also ein Konzept. Oder wenigstens einen Job. Früher gab es Jobs an jeder Straßenecke, heute kannst du allenfalls Pizza ausliefern, aber da liegt dein Stundenlohn unter dem Preis einer Pizza Margherita.
Ich überlegte. Ich könnte mich der Pharma-Lobby anbieten und irgendwelche scheußlichen Krankheiten erfinden. Air-Allergie zum Beispiel, Luftunverträglichkeit. Oder unsinnige Medikamente gegen was auch immer erfinden: Nagel-Stopp. Für Finger und Zehen!
Zu Studienzeiten hat einer meiner Mitbewohner jahrelang Krimis gelesen. Er tat nichts anderes, als Krimis zu lesen, tagein, tagaus, nächtelang. Eines Tages begann er zu trainieren. Ich fragte ihn, was denn los sei. Nach dem fünften Weizenbier verriet er mir endlich, dass er trainiere, um eine Bank zu überfallen. Das hat er selbstverständlich nicht gemacht. Glaube ich jedenfalls.
Vor Kurzem traf ich ihn überraschend wieder. "Und? Was machst du so?", fragte ich. "Ich lese noch immer Krimis!", antwortete er. "Und wie finanzierst du das?" Er zuckte mit den Achseln, grinste aber. "Läufst du noch?" Er nickte nur und grinste wieder. Und plötzlich fiel es mir ein - mein Konzept: Ich werde einen Bestseller schreiben. Über einen Studenten, der trainiert, weil er einen Banküberfall plant. Der erste Satz würde lauten: "Er war nie gern zum Briefkasten gegangen, es kam dabei meist nichts Gutes heraus."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören