Die Wahrheit: Insel ohne Pfosten
Die Island-Woche der Wahrheit Die grauslichen Fußballer des Nordens.
W er bei Debatten über den isländischen Fußball mitreden will, sollte vorher unbedingt einen Blick in das Buch "Eine Insel ohne Bäume ist wie ein Tor ohne Pfosten" werfen. Der isländische Fußballpapst Wjaltter Svigersson stellt in dieser Woche auf der Buchmesse in Frankfurt sein Standardwerk über das Mutterland des Fußballs erstmalig auf Deutsch vor.
Jawohl, Mutterland, denn nach einer alten Sage spielten die Riesen Grabowskisson und Hrubeschsson vor vielen tausend Jahren gegeneinander Fußball. Hrubeschsson köpfte den Ball bis nach Liverpool, von wo aus der Sport seinen schwunghaften Aufschwung nahm.
Seitdem verhindert nicht nur die Baumlosigkeit den immer wieder prophezeiten Durchbruch Islands im Weltfußball. Isländische Spieler haben keinen harten Schuss, weil sie von klein auf damit rechnen müssen, dass Ball und Mitspieler in einem Geysir oder im Meer landen. Für die wenigen Straßenfußballer ist ihr Sport ein Tanz auf dem Vulkan. Dafür beherrschen die Isländer das Kurzpassspiel hervorragend, und deshalb kommen in den isländischen Namen auch so viele Konsonanten doppelt vor. Falls einer ins Wasser fällt, kann ihn der andere retten.
Alle Spiele der isländischen Liga enden seit Jahrzehnten unentschieden, wobei nur die Mannschaft Tore schießt, die gerade mit Rückenwind spielt. Bis es die Vattenfall-Windkraft-League gibt, schmilzt wohl noch viel Eis auf dem Vatnajökull. Kein Wunder, dass die talentiertesten Söhne des Landes sich aufmachen nach Europas Ligen.
Hoch aufgeschossen, hoch veranlagt und hoch bezahlt. Dieses Image eilt den Fußballern von der nordischen Insel seit Jahrzehnten voraus, allerdings erfüllen sie nie mehr als zwei dieser drei Eigenschaften. Sind sie hoch veranlagt und gut bezahlt, sind sie dafür kleinwüchsig. Der 1,86 Meter kleine Gylfi Sigurdsson, der zurzeit bei 1899 Hoffenheim unter Vertrag steht, ist dafür ein gutes Beispiel. Gylfi bedeutet so viel wie "Zwerg, der mit beiden Füßen Außenristpässe spielen kann".
In den siebziger Jahren konnte man sich in der Bundesliga nicht auf den Rasen wagen, ohne wenigstens einen Dänen im Kader zu haben, seit den achtziger Jahren erfreuen sich die Isländer stetiger Beliebtheit. Einer der ersten war Asgeir Sigurvinsson, der mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister wurde und heute als Dompteur von Großraubvögeln seinem Namen alle Ehre macht. Außerdem ist in der Nähe von Stuttgart ein Getränkemarkt nach ihm benannt, nach Stefan Effenberg hingegen nur eine Abdeckerei.
Während Sigurvinsson ein Spielmacher von Format war, ist der durchschnittliche Isländer eher als grobmotorischer Abräumer gefragt. In diese Kategorie fällt der Abwehrspieler Eyjolfur Sverrisson, der bei Hertha BSC Berlin grätschte und köpfte, wenn auch nicht so weit wie Hrubeschsson. Die Issis, wie ihre Fans sie nennen, werden wegen ihrer geradlinigen Art schnell Publikumslieblinge, bekommen lustige Spitznamen verliehen ("Jolly") und zeichnen sich durch langjährige Vereinstreue aus.
Auch mit dem Trikottauschen tun sich die Isländer schwer, tragen sie doch beim Fußball stets nur selbstgestrickte Islandpullis von ihren Müttern, Freundinnen oder Ammen, von denen sie sich nur schwer trennen können. Häufig sehen isländische Spieler beim Trikottausch die Rote Karte, weil sie nicht wollen, dass man ihnen die Kleidung wegnimmt. Erik, "der Rote", Thorvaldsson, Stürmer bei Framdur Reykjavik in den Jahren 970 bis 982, flog in seiner Karriere deshalb sechsundzwanzig Mal vom Platz.
Manchmal ist der Isländer vollkommen talentfrei und trotzdem Spitzenverdiener. Als der 1. FC Nürnberg noch legendär schlecht war, verbrachten dort die Zwillinge Arnar und Bjarki Gunnlaugsson einige Monate. Neben dem zweifelhaften Titel des Rekordabsteigers gebührt dem Club auch der Ruhm, einen der schlechtesten Spieler der Vereinsgeschichte gleich doppelt verpflichtet zu haben.
Die Gunnlaugssons sind mit fast vierzig Jahren beide noch aktiv, bevor aber der neue und planlose Manager des HSV, Frank Arnesen, die Island-Zwillinge verpflichtet, sollte er unbedingt Svigerssons Klassiker studieren. Ein Buch, das auf keinem Gabentisch fehlen darf.
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