piwik no script img

Die WahrheitDie zarte Vanilleschnitte

Axel Springers Freiheitskampf für das Wahre, Schöne, Gute wird endlich gewürdigt in konzerneigenen Jubelblättern. Darin geht es um den Kunstliebhaber und Ästheten Springer....

An Axel Springers 100. Geburtstag hat der vielseitige Publizist Thomas Schmid in der Tageszeitung Die Welt die Verdienste des berüchtigten Verlegers um die Erneuerung der bundesdeutschen Zeitungslandschaft gerühmt und die Bild-Zeitung vor ihren Widersachern in Schutz genommen: „Sich kritisch dünkenden Zeitgenossen gilt sie heute als Kampfblatt der niederen Gefühle.“

War nicht auch Thomas Schmid einst einer jener Zeitgenossen, die er heute des Dünkels verdächtigt, wenn sie die Bild-Zeitung kritisieren? Aus der Sicht der Anwälte des Springer-Konzerns ist Bild eine Zeitung, die gut daran tut, die Bezeichnung „Drecksblatt“ auf sich sitzen zu lassen, weil es unmöglich wäre, diesen Vorwurf zu widerlegen.

Aus der Sicht Thomas Schmids hingegen ist Bild eine feine Sache: „Ein Mosaik, ein Blatt, in dem alle Sphären des Lebens und der Gesellschaft gleich bedeutungsvoll sind.“ Also beispielsweise die bekannte „Busen-Klemme“ eines mallorquinischen Partykönigs ebenso wie die Frage, wonach Lady Diana Spencer bei ihrer Entjungferung gerochen habe.

Schmid erblickt darin eine erfreuliche Tendenz: „Die Bild-Zeitung verfolgte – auch dadurch, dass sie bildungsferne Schichten zum Lesen brachte – einen demokratischen, ja zu Teilen egalitären Ansatz.“ Demokratie ist, wenn die bildungsfernen Schichten nachlesen können, wie die von Bild-Leser-Reportern beim Urinieren geknipsten Prominenten heißen.

Kühner noch wirkt die „Verlags-Sonderausgabe der Axel Springer AG“ zum runden Geburtstag des Verlagsgründers („Journalist – Unternehmer – Freiheitskämpfer“). Ein Kapitel trägt die Überschrift: „Stilfragen – Grenzenlos guter Geschmack“. Darin geht es um den Kunstliebhaber und Ästheten Springer.

Gründe genug für eine Zusammenstellung der stilistisch und geschmacklich gelungensten Bild-Schlagzeilen aus den vergangenen sechzig Jahren:

„Penis zu kurz! Schüler springt vom Hochhaus“ / „Wer fremdgeht, kriegt schneller Krebs“ / „Senta Berger brach zusammen – Magenoperation!“ / „Taxifahrer zerstückelt – aufgegessen“ / „München – Attentat – Brennende Mädchen in Sex-Disco“ / „Sex-Gier – Er köpfte 17 Männer – Teile gekocht“ / „12 Gurus: Eva Renzi nackt blutig gepeitscht“ / „Peep-Show! Lesbisch! Schüsse! Tot!“ / „Riesenaffe zerfleischt taubes Kind“ /

„Juhnke wieder blau – Flasche Schnaps am Vormittag“ / „Abgehackter Frauenkopf in der Bratröhre gefunden“ / „Angekettet – deutsche Schülerin von 200 Männern vergewaltigt“ / „Penis-Riß – Blutiges Drama um Bundesliga-Star“ / „Katharina (29) weinte gestern vor Gericht – So hat Türck mich vergewaltigt“ / „Hatten Dodi und Di Sex im Todes-Auto?“ / „Junge (5) stirbt in Gülle-Rührwerk“ /

„Menschenfresser tanzte mit nackter Liebespuppe“ / „Boah, ey! Party-Ammer hat schon wieder ’ne Neue!“ / „4 Frauen geköpft und zerhackt zwischen Pornos und Puppen“ / „Hier sucht die Kristall-Erbin die Kronjuwelen beim Finanzminister“ / „Sex-Riese gesteht – Schöne Nachbarin vergewaltigt und gewürgt“ / „Hier wird Prinz Harry zu Prinz Pipi II.“ / „Pinkelte Paris Hilton ins Taxi?“

Von der Bild-Zeitung verlangte Springer den „Geschmack einer Vanilleschnitte am frühen Morgen“. In Geschmacksfragen ist sein Verlagshaus eben schon immer die erste Adresse gewesen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!