Die Wahrheit: Auf dem Speakwalk
Die neue Kollektion des Sprachzaren Wolf Schneider.
Lange war es still um ihn, lange schien es, als hätten ihm andere den Schneid abgekauft. Doch nun ist er wieder am Start, und die Welt bejubelt seine Kreationen: Wolf Schneider, Stilgott, Sprachzar, Erfinder des Wortes „urgemütlich“, Edelfederfuchser ersten Ranges, Gründer der Aktion „Lebenderes Deutsch“.
In einer Beilage zur aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit stellt er seine neueste Kollektion vor, macht vergessen, dass es einen Bastian Sick je gab. Er kommt rein, lässig ein paar Silben mümmelnd, wirft einen kühlen Blick ins Rund und sagt dann ganz locker einen Satz wie „Die Lagerung des Falls ist eine hochgradig verzwirbelte.“ Die Menge tobt. Ja, so muss man sprechen, parlieren gar, und tausend Gleitsichtbrillen wackeln Applaus.
Und dann zeigen seine Lingualmodels, dass Schneiders kleine Sprachmanufaktur am Starnberger See nicht untätig war. Die Trendwörter 2012 sind klar erkennbar. Wer vorne mitmischt, sagt „Kickstart“, „pardauz“ und „bigott“; allmählich einmotten dürfen wir hingegen „Spleen“, „tendenziell“ und „genozidal“.
Viele kleine Innovationen zeugen von jugendlicher Verspieltheit: Nebensätze vorne, „polyvalent“ statt „irgendwie“, Beinkleider statt Hosen. Fragen sind wieder brennend, Ahnungen wieder dunkel. In der Abendunterhaltung dominieren wallende Maxi-Sätze mit Ethno-Einsprengseln („Der Power-Eklat um den Bundesskandal: megaharam!“), oft aufgehübscht um kokette Gypsy-Reime („schofel, schofel, Ganovel!“). Alltagsphrasen werden im Shabby-Look erst schön: Warum nicht statt „Entschuldigung“ ein „Tschullo“ rausflöten?
Überraschender Trend: Das Ung ist zurück! Knapp geschnittene, zwickende Verben sind von gestern, altbacken; dagegen gewinnt die Durchführung der Verungung an Bedeutung, eine echte Bereicherungsempfindung bei der Gesprächsführung, ungemein ungewohnt natürlich – aber sehr, sehr „it“! Die Dame trägt das Ung frech am Satzende („Tschullo, meine Meinung!“), der Herr anaphorisch („Meine Anerkennung für die Anbahnung der Anwandlung!“). Wows und Yeahs entfahren dem Publikum. Schneider korrigiert sie streng zu Ohs und Ahs.
Nun schlendert Sprechweib Gwendolin Fresluder über den Speakwalk, mit nichts als einem kleinen Lyrismus bekleidet: „Ach, durch die Einöde, die Wüste ging ich, den fahlen Röttgen habe ich durchquert“. Das macht Spaß, das klingt fresh, flowt gut, Wiederholung und Variation, alles drin und dran. Gleichzeitig macht dieses Ensemble deutlich: Die Interjektionen kommen dieses Jahr ziemlich androgyn, fast barock daher.
Beim Treppensturz oder Steuerbescheid lässt der Sprachfreund 2012 gern ein „Herrje“ fallen; wer’s kerniger mag, kann sich auch mit einem feschen „Horrido!“ den Arm brechen. Ganz Verwegene können ihre Lieblingsinterjektion unterwegs in einem eleganten kleinen Schachtelsatz spazieren führen („Ich aß die Nudeln, die mir, obwohl – auweia! – noch heiß, kochend vielmehr, durchaus schmeckten“). Man liebt es luftig und leicht verschwiemelt. Männer dürfen diesen Sommer ruhig auch mal „huch“ sagen – sie müssen es nur so meinen.
Wolf Schneider, der ein Vermögen mit dem Abbau Seltener Verben machte („aufrüschen“, „faschisieren“), räumt auch mit einem beliebten Vorurteil auf: Lebenderes Deutsch muss nämlich gar nicht teuer sein! Auch das Vokabular vom letzten Jahr lässt sich problemlos aufrüschen.
Aus „Impact“, „Gutmensch“ und „leaken“ schneidert man dann einen aparten Ausruf wie „Gut impleakt, Mensch!“ – Verwirrung und Bewunderung sind schließlich Geschwisterkinder. Merke: Low-Budget-Sprache kommt an, wenn sie gepflegt und abwechslungsreich ist. „Die Scheiße mit dem Urlaub ist scheiße“, das sagt, wer modisch nichts riskiert. „Der Feriendreck ist fuck“, das ist lebender und hat trotzdem Street Credibility. Überhaupt das „fuck“! 2012 verliert es seinen streng amerikanischen Gestus, der Kenner pronounct es leicht europäisiert („fouque, fouque!“) – ein kleines Politikum in der Welt der Mode.
Ein genuin Schneider’scher Geniestreich, last but everlasting: der phonetische Strichpunkt. Ein knackiges, nur leicht faschisiertes Satzzeichen, das in der gesprochenen Sprache bisher wenig Widerhall fand. Doch nicht länger! Der Strichpunkt wird „ja“ ausgesprochen, ganz einfach nur ja, ja; und schon hört sich jedes Gespräch ein wenig nach Alexander Kluge an, optimistisch, weise, fliewatüt.
Fazit: Wolf Schneider bleibt seinen vier Buchstaben treu. Wer mitreden will, muss lebenderes Deutsch sprechen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter