Die Wahrheit: Zwangs-Outing in London
Londons Bürgermeister Boris Johnson hat bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele am Freitag vor Ergriffenheit „geheult wie ein kleines Kind“, wie er sagte.
L ondons Bürgermeister Boris Johnson hat bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele am Freitag vor Ergriffenheit „geheult wie ein kleines Kind“, wie er sagte. Zum Glück ist das Fest nicht von Londons Stadträten organisiert worden, sonst hätte Johnson vor Wut geheult wie ein Schlosshund.
Es ist verblüffend, wie viel Murks in den Bezirksverwaltungen passiert. Der Labour-Stadtrat von Islington im Norden der Stadt hat auf eine harmlose Bürgeranfrage hin die Daten von 2.400 Menschen ins Internet gestellt – Namen, Adressen, Familienstand, ethnische Herkunft, Religion und sexuelle Orientierung. Letztere Angabe führte zu zahlreichen Zwangs-Outings. Dass sie dem Stadtrat diese Information überhaupt gegeben haben, hängt wohl mit dem englischen Steckenpferd des Formblattausfüllens zusammen.
Der für Wohnungsvergabe und Sozialdienste zuständige Stadtrat Seán McLoughlin hat sich vorige Woche bei allen Betroffenen schriftlich entschuldigt. „Das hätte nie passieren dürfen“, schrieb er, und man werde sicher stellen, dass so etwas nie wieder geschehe.
Dasselbe hatte der Stadtrat im April an 51 Bewohner der Andover-Siedlung in Islington geschrieben. Die hatten sich über antisoziales Verhalten von dreizehn Jugendlichen beschwert und eine einstweilige Verfügung erwirkt, die den kleinen Gangstern untersagte, die Siedlung zu betreten. Der Gerichtsbeschluss wurde den Krawallmachern schriftlich zugestellt. Er enthielt Namen, Adressen und Telefonnummern der 51 Beschwerdeführer. Die stehen seitdem unter Polizeischutz.
Die Beamten haben bei sechs der Störenfriede die Adressenliste zurückerbeutet und sich versprechen lassen, dass es keine Fotokopien gebe und man die Leute in Frieden lassen werde. Wenigstens seien es nur Radaubrüder und keine Gewaltverbrecher, sagte eine Sprecherin des Stadtrats. So müssen die 51 Menschen nicht damit rechnen, zerstückelt zu werden, sondern kommen vielleicht mit einer Tracht Prügel davon.
Der für Verbrechensbekämpfung zuständige Stadtrat Paul Convery seufzte, das Missgeschick habe das Vertrauen der Bürger in die Polizei stark untergraben. „Das kann man wohl sagen“, meinte einer der Betroffenen, der seine persönlichen Angaben nun auch auf der Internetliste fand. „Ich bin so wütend, dass ich sprachlos bin.“
Manchmal schaden sich die Stadträte mit ihrer Klotzköpfigkeit auch selbst. Paul Carter, der Chef der Behörde in Kent, wunderte sich, warum sein Konto bis zum Anschlag überzogen war. Es stellte sich heraus, dass seine Chefzulage sieben Monate lang auf das Konto eines kleinen Kommunalangestellten eingezahlt wurde, der ebenfalls Paul Carter heißt. Eine Mitarbeiterin hatte die Namen verwechselt. Das Geld ist futsch: Der falsche Carter ist mit den 21.000 Pfund nach Osteuropa abgehauen. Oder hat er beim Organisationskomitee für Olympia angeheuert, wo man ihn mit Paul McCartney vertauscht hat? Das würde den schiefen Gesang bei „Hey Jude“ erklären, dem Abschlusslied der Olympia-Eröffnungsfeier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!