Die Wahrheit: Mähschugge
Phänomene der Zivilisation: Woher das nicht enden wollende und alles übertönende Röhren der Rasenmäher kommt.
Als dem Werkzeugmacher die erste Feuersteinsichel gelang, fing es an. Vorläufer der heutigen Getreidesorten, fast noch grobe Gräser, mussten dran glauben. Metall verbesserte die Mahd. Aus Grasrispen wurden Getreideähren. Irgendwann kam einer auf die Idee, eine Sichel an einen Ast zu binden, weil ihm das Kreuz weh tat: Da war es Sense mit der Sichelei!
Ab sofort wurde das Korn gesenst, bis die ersten Balkenmäher unter Plinius dem Jüngeren hinter Ochsen gespannt werden konnten. Bis ins 19. Jahrhundert bewegten Tiere den Mähbalken: Für den Rasen im Landschaftspark nicht sehr geeignet. Statt englischem Rasen blieb ein Acker zurück …
Das Sensen fand schier kein Ende. Erst im Jahr 1830 erfand der Engländer Edwin Beard Budding den Spindelmäher. Jener Trendsport war geboren, der uns bis zum heutigen Tag umtreibt und quält: das bequeme Rasenmähen im eigenen Garten. Leise dreht sich die Spindel des Handmähers, surrt klingend und scharrend aus – ein Klangspiel für den schwer schuftenden Gärtner.
Doch wo immer der Mensch und insbesondere der Mann es sich leicht machen kann, wird es laut. Die ersten motorgetriebenen Spindelmäher des Jahres 1902 waren röhrende Höllenmaschinen, die aus allem Mus machten, was nicht rasch entkam. Die Durchschnittsgeschwindigkeit von englischen Kaninchen hat sich seit damals verdoppelt. 1959 kam der Sichelmäher, 1963 der Kreiselmäher auf. Da war es endgültig mit der Ruhe geschehen. Heute drehen sich in Deutschland ungefähr fünf Millionen benzinbetriebene Schiebe-, Selbstlauf- und Traktormäher. 800 unterschiedliche Typen von über 50 Marken. In Sommerzeiten vergeht in einer x-beliebigen Ortschaft keine Minute, ohne dass ein oder mehrere Rasenmäher laufen, anspringen, auf einen Stein fahren, gurgelnd ausgehen oder fluchend wieder angerissen beziehungsweise -getreten werden.
Warum dieser Kürzungswahn, fragt sich der Berichterstatter? Warum mäht der Mensch in seinem Garten? Nicht, dass ihm die Sache auf seinem ureigensten Gebiete fremd wäre … Der Redakteur fährt täglich mit dem mentalen Rasenmäher über seine Texte. Doch gibt es irgendeinen vernünftigen Grund für das gärtnerische Mähgeschehen? Der befragte Klein- oder Hausgärtner mag erstens antworten: Weil dir sonst das Gras über den Kopf wächst! Eine Antwort, die mit reiner Empirie zu widerlegen ist. Eine leicht verkleete und verunkrautete Rasenmischung vom Typ Berliner Tiergarten wächst in drei Monaten bis zu einer vereinzelten Gipfelhöhe von 1 Meter 17, bleibt aber im Mittel unter 70 Zentimetern. Nur ein Zwerg kann behaupten, dass ihm hier irgendetwas über den Kopf wachse!
Die zweite Antwort des Hausgärtners könnte sein: Aber wie sieht denn das dann aus? Tja – wie denn eigentlich? Selbst der Landschaftsgärtner des 19. Jahrhunderts wird sagen: fantastisch! Romantisch, verspielt, sehr interessant! Der grüne Meckischnitt bis zum Horizont, vom Rasentrimmer noch bis unter den Nachbarzaun durchgezogen, ist dagegen Langeweile pur.
Muss man erwähnen, dass die Kurzrasenvariante erhebliche Düngergaben erfordert und auch dadurch unökologisch ist, dass sie dem kleinen Getier keine Schlupfmöglichkeit bietet und den Bienen wenig geblümte Nahrungsquellen bietet? So wie der Bauer nichts frisst, was er nicht kennt, so lässt der Hausgärtner nichts ungeschoren, was ihm unheim ist. Rasen ist getrimmtes Unkraut. Wo er sich selbst schon kaum noch zu trimmen in der Lage ist, so soll wenigstens das Grün nicht zunehmen. Mögliche flachpsychologische Deutungen eines Oberflächenproblems. Das Rasenmähen als lautstarkes Aufbegehren gegen die Unmöglichkeit der allgemeinen Veränderung. Eingeständnis des allgemeinen Kleingebliebenseins? Aufgegebene Hoffnung eigenen Wachstums?
Während der Autor dieser Zeilen seinen Bericht verfasst, sind in der Nachbarschaft circa zehn Liter Benzin durch die Aggregate geflossen, etwa drei Liter Abgas durfte er höchstselbst mit seiner Lunge filtern. Zwanzigmal hat ihn das Mähgebrumm den Faden verlieren lassen, fünfmal das Fenster zu schließen, fünfmal wieder zu öffnen gezwungen. Wird das jemals aufhören? Wohl erst, wenn unter den tierliebenden Deutschen die Tendenz zum Zweitochsen, zur Drittkuh, zur Viertente und zum Fünftschaf auch bundesweit durchgreift.
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