Die Wahrheit: Die sechstgeilste Stadt der Welt
Neues aus Neuseeland: Mit den Einwohnern von Hyderabad und Londonderry habe ich neuerdings etwas gemeinsam: ...
M it den Einwohnern von Hyderabad und Londonderry habe ich neuerdings etwas gemeinsam: Wir leben dort, wo andere Urlaub machen sollen. Neben diesen ebenfalls nicht allzu nah liegenden Orten hat es ausgerechnet Christchurch in die Liste der „Top-Ten“-Städte der Welt verschlagen, die es laut „Lonely Planet“ 2013 anzusteuern gilt, weil sie so spannend sind. Die kaputte und halb abgerissene „Garden City“, der Horror aller Reiseveranstalter, steht auf dem sechsten Platz. Das glaubt mir doch niemand!
Da staunen nicht nur die, die von Christchurch zum letzten Mal in den Nachrichten hörten und die Stadt seitdem für ein Katastrophengebiet halten, um das man lieber einen weiträumigen Bogen macht. Ja, da staunen auch die, die noch immer darauf warten, dass die seit anderthalb Jahren anstehende Renovierung ihrer rissigen Bude endlich von der Versicherung bezahlt wird und sie woanders hinziehen können, wo das tägliche Leben nicht durch Erdbebenschäden, Dauerbaustellen und Bürokratenschwachsinn gelähmt wird.
Aber mit Letzteren, es sind ja auch nur ein paar Tausend, haben die „Lonely-Planet“-Tester sicher nicht gesprochen. Wer will sich das Gejammer schon anhören? Also, ich nicht. Ich glaube lieber dem welterprobten Reiseführer und schaue, was sich die emsigen Bienen bei „Gap Filler“ wieder Originelles einfallen lassen, um uns das Leben zwischen Ruinen zu verschönern. Alles super hier, voll die Zukunft, und so funky!
Dringend nötig, dass das mal aufgezählt wird: Eine Ausstellung der liebevollst dekorierten Dixie-Klos, ein Freiluftkino mit Pedalbetrieb, ein Kühlschrank an der Straßenecke als Buchtauschbörse, eine Kathedrale aus Pappe und noch andere Aktionen, die viel Pioniergeist, Schweißarbeit und Sperrmüll voraussetzen. Klasse Sache, ich bin dabei, auch jetzt am Wochenende, wenn der rekordverdächtige „Drillathon“ stattfindet und jeder, der mag, mindestens zwei Stunden lang Löcher in Paletten bohren darf. Aus denen entsteht ein improvisierter Musikpalast.
Wer dann noch Energie hat, kann zum „Dance-O-Mat“ gehen. Das ist ein münzbetriebener Tanzboden im Freien, gleich hinter der Shoppingmall aus Schiffscontainern, und unsere Antwort auf eine Disco. So was denken sich keine Stadtoberen und Erdbebenminister aus, sondern Künstler, Architekturstudenten und Freiwillige aller Art. Und die, da gebe ich dem „Lonely Planet“ völlig recht, hauchen dieser Trümmerstadt wieder Leben ein, das einen Anstrich von urbanem Utopia hat: Alles darf ersponnen werden, jeder macht mit.
Jetzt müssen sich nur noch die Besucher trauen. Bloß keine Hemmungen, Erdbebentouristen, ihr seid willkommen! Ihr dürft euch auch gern gruseln: Für 15 Dollar kann man die abgeriegelte „Rote Zone“ besichtigen. Das ist jetzt die größte Baustelle der Südhalbkugel, was nicht so spannend klingt wie „Todeszone“. Aber daran kann man arbeiten. Hauptsache, die halb durchgebrochenen Häuser auf den Klippen oberhalb des Strandes bleiben noch lange dort hängen. Super-Attraktion, klasse Fotos.
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