Die Wahrheit: Steiler Rebell
In der Lifestyle-Literatur findet sich ein Satz, der Lesern mittlerweile längst zum Hals heraushängt: Er schlug den Mantelkragen hoch.
Jeder hat das Bild vor Augen: James Dean, wie er als einsamer Wolf bei nasskalter Witterung die Straße heruntergeschlürt kommt, eine Kippe im Mundwinkel, Wind im Gesicht, die Hände in den Taschen vergraben und den Mantelkragen hochgeschlagen …
So ähnlich hält es der Held in Kurt Martens’ 1896 veröffentlichter Novelle „Schura“: „Dann kehrte Lorenzo Varri Herrn Grün und dem Hotel verstimmt den Rücken, schlug den Mantelkragen hoch, drückte den Zylinder in die Stirn und erschien immer noch früh genug in seinem Klub.“
Der Zylinder ist den wetterfesten, kernig ausschreitenden Mannsbildern irgendwann abhandengekommen; niemals jedoch der hochgeschlagene Mantelkragen. „Hasso schlug den Mantelkragen hoch und ließ die Stute schärfer traben“, teilte Johannes Richard zur Megede 1911 den Lesern seines Romans „Quitt!“ mit. 1928 fügte Edgar Wallace in dem Krimi „Der Zinker“ ein Zigarettchen in das Genrebild ein: „Er zündete sich eine Zigarette an, schlug den Mantelkragen hoch und machte sich langsam auf den Heimweg.“
Die Formulierung blieb populär. Dreißig Jahre nach Edgar Wallace griff der junge Stefan Heym sie auf, als er in seinem Roman „Der Fall Glasenapp“ eine atmosphärisch dichte Szene benötigte: „Der Hauptmann fröstelte, und er schlug den Mantelkragen hoch.“
Der Fingernägelbetrachter
Auf das Erlebnis der Kombination eines hochgeschlagenen Mantelkragens mit einem irgendwo bellenden Hund musste die Welt allerdings noch warten, bis Carlos Fuentes 1964 den Roman „Nichts als das Leben“ publizierte: „Er betrachtete den Halbmond seines Daumens und die weißen Punkte seiner Fingernägel, an welchen sich angeblich die Wahrheit erwies, und in der Nähe bellte ein Hund. Er schlug den Mantelkragen hoch und wandte sich heimwärts.“ Der Hund? Natürlich nicht. Sondern der Fingernägelbetrachter.
„Er schubste Thomas, erhob sich, fluchte über die steif gewordenen Glieder, schlug den Mantelkragen hoch und zog die Mütze in die Stirn“, behauptete Peter Härtling 1987 in seinem Kinderbuch „Krücke“, dicht gefolgt und vielleicht auch schon hart bedrängt von dem Erzähler Konrad Klotz, der 1991 in dem Sammelband „Fremde Liebe – enges Land“ nachsetzte: „Er schlug den Mantelkragen hoch, nestelte am Halstuch und begann zu gehen.“
2009 schlugen gleich drei Romanautoren zu: „Er zündete sich eine Zigarette an, schlug den Mantelkragen hoch und machte sich langsam auf den Heimweg“ (Hermann Bauer, „Fernwehträume“). „Bert zog seinen Mantel an, fuhr mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss, grüßte auf dem Weg zur Tür nach hierhin und dorthin, verließ das Haus, schlug den Mantelkragen hoch und schlenderte durch die Fußgängerzone“ (Monika Feth, „Der Mädchenmaler“). „Padre Antonio schlug den Mantelkragen hoch und eilte an diesem unerfreulichen Morgen mit zügigem Schritt auf den Bischofspalast zu. Ihm war schlecht“ (Peter Dempf, „Die Botschaft der Novizin“).
Baldaccis Könnerschaft
Wer bietet mehr? Oder anders gefragt: Wer lässt die alte Stute noch schärfer traben? Gut im Rennen liegt seit 2012 auch Mary Higgins Clark („Weil deine Augen ihn nicht sehen“): „Inzwischen regnete es in Strömen, und Bailey schlug den Mantelkragen hoch.“ In dem Thriller „Der Präsident“ hat freilich auch David Baldacci seine Könnerschaft unter Beweis gestellt: „Jack schlug den Mantelkragen hoch. Regenschwangere Wolken zogen auf; es war ein kühler Abend.“
Niemals hingegen liest man davon, dass ein hochgeschlagener Mantelkragen wieder heruntergeklappt worden wäre. Denn das hätte, wie jedermann einsehen wird, etwas sehr Uncooles: „Beim Betreten der Eisdiele blickte Alfons scheu um sich, bevor er seine beschlagenen Brillengläser mit dem antistatischen Brillenputztuch reinigte, das ihm seine Mami mitgegeben hatte. Sie ist doch die beste Mami der Welt, dachte Alfons. Er klappte den Mantelkragen herunter, hüstelte, ging zur Theke und bestellte sich leise lispelnd ein großes Zitroneneis mit Streuseln und Gummitier …“
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