Die Wahrheit: Shitstorm statt Stickhusten
Der Duden hat in seiner 26. Auflage altbewährte Wörter aus dem allgemeinen Wortschatz einfach ausgemustert. Die Opfer wollen jetzt klagen.
Das Manggetreide war herbeigeeilt, das Makartbouquet und die Mistigkeit, dazu die Dragonade und auch der gute alte Stickhusten. Alle waren sie gekommen, jetzt wo sie eliminiert waren, aussortiert und gestrichen. Dabei war die Vollversammlung der Duden-Opfer (VDO) sehr kurzfristig einberufen worden, kaum dass die neue, die 26. Auflage des Duden, am 4. Juli erschienen war.
„Alle reden über die 5.000 chicen Neulinge wie Shitstorm, wellnessen oder Gaming“, eröffnete das stolze Moskowitertum das Meeting. „Aber keiner achtet auf uns, die Opfer, die Entsorgten, die angeblich Unzeitgemäßen.“ Die feine Talkerde, traditionell ganz in Weiß, applaudierte: „Genau. Mich soll man nur noch als Magnesia kennen. Eine Frechheit.“ Als letztes war eine müde Gestalt im Autocoat mit der Alwegbahn angereist. „Bis vergangene Woche kannten wir uns alle nicht. Jetzt sind wir eine Schicksalsgemeinschaft. Angenehm, Buschklepper ist mein Name.“ Heftiger Applaus setzte ein.
Man traf sich im rheinischen Immerath bei Mönchengladbach. Der Ort, der demnächst wegen des Braunkohletagebaus weggebaggert wird, hatte sich solidarisch erklärt und die Streich-Begriffe in den verwaisten Gemeindesaal eingeladen. Das Geleitwort des Bürgermeisters, der fast schon ohne Bürger ist, lautete schlicht: „Dorf und Wort, das gleiche Ende: hingerichtet auf den Altären von Zeitgeist und Mammon.“
„Wenn ein Begriff wie ich weichen muss, kann es alle erwischen“, meinte der aussortierte Telekrat. „Ich war übrigens definiert als Machthaber, der sich auf seinen Einfluss über die Telekommunikationsmedien stützt.“ Er hob die Stimme: „Unfug hoch drei. Welcher Machthaber kann heute noch ohne Mediennutzung Macht haben!?“ Online, unter duden.de, „sind wir Streichopfer alle noch zu finden“, erklärten beziehentlich und münzmäßig, „man lässt uns also eine digitale Kastratenexistenz“. Heftiges Gelächter. „lol auf neududenianisch“, lästerte die altgediente Suszeptibilität.
Wann immer einer der 5.000 Emporkömmlinge genannt wurde, setzte es Buhrufe. „Diese neumodischen Aufschneider!“ – „Jungvolk, Jargonpack. Wir Alten sind zum Prekariat der Wörter gemacht worden und herzlos entsorgt.“ – „Jetzt hat selbst der Vollpfosten Dudenstatus“, kühl erklärt als „umgangssprachlich für sehr dummer Mensch“.
Was mit dem Vollhorst sei, fragte schnadernd der Schnatz. „Nicht existent. Es gibt offenbar ein Horstschutzprogramm. Denn wer hat in den Fünfzigerjahren die ersten Duden geschrieben: ein gewisser Horst Klien“, wusste geschichtsfest die gute alte Adrema, die Adressiermaschine. In der Arbeitsgruppe Zukunft beriet man derweil die Frage, wer wohl als nächstes gestrichen wird: „Verhohnepipeln vielleicht“, sagte die Plattei, „außer es nennt sich um in verhohnepeoplen. Auf Anglizisten steht der Deutsche ja.“ Plattei ist übrigens eine Plattensammlung. „Fehlt als Ersatz nur noch die CDei.“
Viele Duden-Opfer der Vorjahre wohnten der Versammlung als Ehrenmitglieder bei – wie Abgötterei, Narrenhaus, Räuberhöhle und Salbader, die Generation von 2001. Das edle Geziefer ereiferte sich: „Auch ich bin längst ausgerottet. Aber mein Schwager, das Ungeziefer, darf bis heute niedergeschrieben bleiben. Familien so auseinanderzureißen ist ein Verbrechen.“ Auch bei Familie Kraut gebe es falsche Schwerpunkte – „das Unkraut, ökologisch längst rehabilitiert, wird auch im neuen Duden lang und breit gewürdigt. Wie unzeitgemäß. Und das Wildkraut führt nur eine Randexistenz.“
Die Streichungen aus dem Wahrig-Wörterbuch 2009 hatten sich in einer Grußbotschaft solidarisch erklärt, unterzeichnet von Blindenheim, buschmännisch und dem zarten beweiben. Und sie warnten: Demnächst sehe man sich wieder im Buch „Wort-Friedhof“, einem bigotten Duden-Abfallprodukt, das mit „Wörter, die uns fehlen werden“ wirbt. „Erst meucheln sie uns und beuten uns dann als belächelte Ramschware noch aus. Das ist Leichenfledderei an Untoten! Ungeheuerlich!“ Die VDOler brüllten so laut, dass die Braunkohlebagger vor der Tür aus Angst Reißaus nahmen.
Jetzt wollen die Eliminaten die Rechte an sich selbst einklagen und ein eigenes Nachschlagwerk herausbringen. Grundlage soll eine Liste der Wort-Honoratioren sein, die sich zahllos in dem großartigen Roman „Leben und Ansichten des Tristram Shandy, Gentleman“ von Laurence Sterne finden. „Ich werde mit unseren alten Kollegen Kümmernis, rachlüstern und zanksam reden,“ erklärte der Traftenführer. Und der unchristlich ausgesonderte Mohammedanismus bot an, Gott selbst zu kontaktieren, den „Ursächler allens“, wie er bei Sterne so wundervoll heißt.
Einzelne weinten vor Rührung. „Ja, solch hell strahlende Sterne der Wortkunst kennt der Duden alle nicht“, ergriff der Buschklepper das Wort. Der jetzige Stand der Dinge sei, um mit Sterne zu reden, „eine große Verheerung“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?