Die Wahrheit: Karaoke mit 100 Sozialpädagoginnen
To-do-Listen gibt es viele. Die meisten davon sind überflüssig, weil sie nicht auf die wichtigen Dinge hinweisen – wie die Erotik der Fahrradflucht.
I mmer wieder hört man von Menschen, die angeblich Listen führen. Listen, auf denen sie vermerkt haben, was sie im Leben zu tun gedenken. Also nicht die Art von Liste, wie sie über meinem Schreibtisch hängt. Auf der steht bloß „Steuer 2013, Infos Hausratversicherung, lustigen Text schreiben, Licht reparieren Fahrrad Christine, Systemspiel für Rubbellose erfinden“.
Sondern die Art von Liste, auf der notiert wird, was an Erlebnissen auf der Habenseite des Lebenskontos noch verbucht werden muss. Damit man nicht eines Tages auf dem Sterbebett liegt und denkt: „Welch vergeudeter vermaledeiter Aufenthalt auf Erden! Sex auf einer Flugzeugtoilette hätte ich wohl auch gerne mal gehabt. Habe ich ganz vergessen. Mist.“
Regelmäßig veröffentlichen sogenannte Herrenmagazine solche Listen. In diesen Magazinen trägt der Herr von Welt übrigens immer noch den Kaschmirpullover mit vor der Brust verknoteten Ärmeln über den Schultern, während die Damen beim Milchtrinken den Mund nie treffen. Dies nennt man dann „gehobene Erotik“. Die Autoren dieser Magazine sind stets der Meinung, zu einem gelungenen und erfüllten Leben gehöre unbedingt, einmal Sex auf einer Flugzeugtoilette gehabt zu haben. Ich verstehe das nicht. Ich benutze Flugzeugtoiletten nicht mal gerne zu ihrem eigentlichen Zweck.
Ich habe – wie gesagt – keine Liste mit Dingen, die ich bis zu meinem Ableben noch abhaken muss. Natürlich könnte ich nun einfach nachträglich eine anlegen, denn manche Sachen, die ich erlebt habe, sind erheblich cooler als der Quatsch aus den Zeitungen, finde ich. „Sich mit dem Fahrrad erfolgreich dem polizeilichen Zugriff entziehen“ erscheint beispielsweise nie auf To-do-Listen in den Magazinen der gehobenen Erotik.
Sollte man aber mal gemacht haben, finde ich. Oder wenigstens versucht haben. „Den Job kündigen, nur weil man beleidigt ist“. Sehr empfehlenswert! „Als Karaokemoderator vor 100 angeschickerten Sozialpädagoginnen ’Tanze Samba mit mir‘ singen. Und dazu tanzen!“ Ist kein unbedingtes Muss, aber mal unter uns: Wovor soll ich mich denn jetzt noch fürchten?
Ich habe allerdings auch eine Liste, eine wichtige Liste, nämlich eine Liste mit Dingen, die ich niemals im Leben tun werde. Komme, was wolle. Im Supermarkt rufen: „Manchen’se mal ’ne zweite Kasse auf“. Zum Beispiel. Das ist doch würdelos. Gut: Ich habe auch Zeit. Ich habe ja den Job gekündigt, nur weil ich beleidigt war. Und ich melde mich niemals in einem Fitnessstudio an. Denn an dem Tag, an dem ich mich bei einem Fitnessstudio anmelde, hat das Böse, hat der Fit-for-Fun-Faschismus gewonnen. Haben die Selbstoptimierungspropheten den letzten Aufrechten gebrochen. Hat die Generation Intimfrisur das Kommando übernommen.
Ich halte es da mit dem Physiker James Trefil, der mal gesagt hat: „Wenn das die Lösung ist, behalte ich lieber das Problem.“ Wenn mir nach Sport ist, mache ich etwas Richtiges. Etwas, das niemals peinlich aussieht. Ich kaufe mir eine Spielekonsole mit Bewegungssteuerung und mache einen Bowlingabend.
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