Die Wahrheit: In der Eigenbrotsuppe
Unter den seltsamen Charakteren dieser Welt ist der Sonderling der absonderlichste. Gern werden deshalb abseitige Bilder von ihm gezeichnet.
Seltsam ist der Sonderling, aber noch sonderbarer sind die zahlreichen Definitionen für einen amtlichen Sonderling. Laut Duden ist der Sonderling meistens draußen: Er ist „Außenseiter“ oder „Outsider“, „Einsiedler“, „Einzelgänger“ oder „Eremit“. Und wenn der Sonderling einmal drinnen ist, dann tritt er als ein „Eigenbrötler“ auf, der einsam sein Selbstgebackenes verzehrt.
Aber der Sonderling ist positiv gesehen auch ein „Nonkonformist“ und „Individualist“, „Aussteiger“ und „Umsteiger“. Andere nennen ihn dafür abschätzig „Spinner“. Vegetarische Sonderlings-Beschreibungen liefert der Duden auch: „Krauter“ oder „Tulpe“. Tulpe? Nicht Nulpe?
Im Internet bieten abseitige Seiten uns den „Wunderling“, das „Unikum“ und die „Blüte“ an. Besonders seltsame Blüten sind der „Knopf“ und die „Gurke“ (!) auf der Seite wissen.de.
Krauter hin, Gurke her, der schönste pflanzliche Sonderling ist laut dem Magazin Focus das Blaue Leberblümchen, das nicht umsonst „Pflanze der Jahres 2013“ war.
Im Tierreich der Sonderlinge gibt die Vogelwelt den Ton an: Der „seltsame Vogel“, der „Spaßvogel“ und natürlich der „Kauz“. Wie schön, dass unsere Vogelkundler in der Welt der Ornithologie eine exklusive Gruppe der Sonderlinge ausgemacht hat: „Sie (die Sonderlinge) heißen weniger wegen ihres sonderlichen Benehmens wegen, vielmehr, weil sie gesondert, d. h. allein, ohne weitere Verwandtschaft bei uns vorkommen … Kein Sonderling ist die Braunelle, die in den Alpen Verwandtschaft hat, und der Zaunkönig hat wiederum Gemeinsamkeit mit der Wasseramsel. Nur der Seidenschwanz steht als seltsamer Gast allein da“, wie der 1966 erschienene Fachband fürs gefiederte Volk, „Die Vögel der Heimat“, erklärt.
Die eine Frage ist, was ein Sonderling ist, die andere Frage, wer ein Sonderling ist: Der Sonderling unter den Sonderlingen ist zweifellos Karl Valentin, der selbstverständlich auch die Hauptrolle in dem Film „Der Sonderling“ von 1929 spielte.
Andere Sonderlinge sind Arno Schmidt (laut Neuem Deutschland), Diogenes (laut Platon), Bobby Fischer (laut Zeit) und sogar Jogi Löw (laut Mittelbayrischer Zeitung). Bodo Ramelow gilt als der „bei vielen verhasste Linke-Sonderling“ (laut Bild). Nicht zu verwechseln mit Carsten Ramelow, der als klassischer Rumpelfüßler heute auf dem Fußballplatz auch als eine Art Sonderling durchgehen würde.
Der Sonderling kann „ein flotter Mann sein“, so wird jedenfalls der „Sonderling von Brülisau“ im Schweizer Tagesanzeiger geschildert. Andere Sonderlinge sind geringelt. Das gilt jedenfalls für die „Spinne des Jahres 2007“, die Flussufer-Riesenwolfsspinne, die schon allein wegen ihres sich dahinringelnd langen Namens aus der Art geschlagen ist.
Ein Sonderling kann allerdings auch ein Coronavirus sein: „Sonderling oder Supererreger?“, fragt die Süddeutsche Zeitung und kartet mit einer besorgten Frage nach: „Hat er das Zeug zur Pandemie?“ Hatte er glücklicherweise nicht, der Coronavirus war nur ein liebenswerter Sonderling, ein Original, eine gute Haut.
Sonderbarerweise werden in manchen Medien sogar Kameras und Kleinwagen als Sonderlinge bezeichnet, aber den Sonderlingsvogel schoss die Schwäbische Zeitung ab: „Der 20-Minuten-Parkplatz ist ein Sonderling.“
Sogar ein Institut kann ein Sonderling sein, zumindest bei der Rheinischen Post, die davor warnt, die Skatbank als Sonderling abzutun. Das würden wir nie tun.
Sonderlinge sind aber definitiv die Studenten der Technischen Universität Dortmund, denn sie nennen ihre Website sonderlinge.de. Diese wird gern von den „Erstis“ gelesen, den Studienanfängersonderlingen.
„Sonderling“ heißt auch eine Rubrik beim Stern. Und was lesen wir da über den Sonderling Arno Schmidt? „Sprache konzentriert wie ein Suppenwürfel“. Wohl dem, der damit eine schmackhafte Eigenbrötlersuppe zubereiten kann, bevor die 20-Minuten-Parkzeit abgelaufen ist!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei