Die Vorschau: Ein Genie zum Entdecken
■ Dacapo widmet dem legendären Pianisten Glenn Gould einen ganzen Tag Film-, Musik- und Internet-Surf-Programm
„Die widerlichste Aufnahme, die es je gab“, schrieb ein Kritiker zur der Interpretation der A-Dur-Sonate von Mozart durch den kanadischen Pianisten Glenn Gould. Alles an dem 1982 im Alter von nur fünfzig Jahren Verstorbenen war anders: Mit dem Konzertbetrieb kam er genauso wenig zurecht wie mit Menschen. Seinem pianistischen Perfektionismus huldigte er in Tonstudios, und Kommunikation betrieb er hauptsächlich per Telefon. Der Veranstalter Dacapo nähert sich dem ebenso rätselhaften wie genialen Künstler, der schon zu Lebzeiten eine Legende war, am Sonntag im Übersee-Museum in einer neuen Form: „Ein Tag für Glenn Gould“ heißt das Programm.
Da schallt aus allen Stockwerken und allen Hütten alles mögliche von Glenn Gould: „Wir tapezieren das Museum mit Klängen von Glenn Gould“, sagen Ingo Ahmels und Lou Simard beinahe im Chor.
Neugierig geworden, kann sich der Besucher die ihn interessierende Klangquelle suchen, oder er kann ins Internetcafé gehen und an vier Computern im Leben von Glenn Gould surfen. Da sind Glenn mit seinem geliebten Hund zu bestaunen oder seine ehrgeizige Mama zu sehen, die schon in ihrer Schwangerschaft gesagt hat, daß sie ein pianistisches Genie zur Welt bringen wird. Und Glenn im Studio und immer wieder in seiner seltsamen Art, am Klavier zu sitzen: grotesk zusammengekauert mit übergeschlagenen Beinen, wegen Unterkühlung hat er stets ein Heizkissen neben sich.
Abends gibt es den berühmten Film des kanadischen Auroren François Girard „32 Variationen über Glenn Gould“, in dem der Autor interpretierende Annäherungen versucht. Erik Roßbander von der Shakespeare Company wird die Telefongespräche lesen, die einst von Jonathan Croft aufgezeichnet wurden. Zu diesen Texten, die Gould als excellenten Denker ausweisen, wird der Pianist Herbert Henck Kompositionen des jungen Gould spielen: „Irgendetwas zwischen Bach und Berg“ (Ingo Ahmels).
Gould, der sich nie nur als Pianist bezeichnete, sondern sich „Medienmensch und Schriftsteller“ nannte, war der größte Nachschöpfer unter den Interpreten: Stets durchstieß er jegliche Erwartungshaltungen, er spielte die musikalische Überlieferung so gegen den Strich, daß vieles regelrecht verstörend wirkte. So, wenn er mit der Überbetonung der Mozart'schen Albertibässe diesen als zweitrangigen Komponisten beweisen wollte. Sein Stil war eine Form von Nachkomposition: irre Tempi, unendliche Dehnungen, Überspitzung von Nebenfiguren, aber auch Mitsummen. Glenn Gould machte stets die Konventionen bewußt, indem er Grenzen überschritt. „In Live-Konzerten fühlte ich mich so erniedrigt wie ein Varieté-Tänzer ...“: Zwei Jahre, bevor Gould sich als 32jähriger entschloß, nie mehr ein öffentliches Konzert zu spielen, entstand die denkwürdige Aufnahme des Klavierkonzertes von Johannes Brahms unter der Leitung von Leonhard Bernstein: der trat vorher vor das Publikum und teilte mit, er sei mit der folgenden Interpretation nicht einverstanden.
Am „Tag für Glenn Gould“ gibt es viel zu sehen und zu hören, wieviel hängt auch – und das ist Ingo Ahmels' Konzept – von der eigenen Iniative ab. Erleben kann man sicher, was Gould selbst wollte: Musik so neu erklingen zu lassen, „wie man sie vorher noch nie gehört hat“. usl
Sonntag im Übersee-Museum: 10 bis 18 Uhr Glenn Gould-Klanginstallation und Glenn Gould-Computer Cafe. 20 Uhr Konzertante Lesung im Lichthof und 21 Uhr im Vortragssaal „32 Short films about Glenn Gould“
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