Die Vielfalt droht zu kippen

Der deutsche Reiseführermarkt konzentriert sich immer stärker. Platzhirsch MairDumont versucht mit der Erschließung neuer Zielgruppen den wirtschaftlichen Niedergang zu stoppen. Wachstum versprechen Individualreisende, die Lonely Planet kaufen

„Bei schrumpfendem Markt kann nur wachsen, wer die Konkurrenz verdrängt“

VON NORBERT LÜDTKE

Australien 1973. Ein junges englisches Ehepaar – Tony und Maureen Wheeler – sitzt am Küchentisch und tippt. Nächtelang, wochenlang. Weinglas für Weinglas fügen sich die Seiten zu Kapiteln, die Kapitel zu Ländern, die Länder zu Kontinenten. In die Textlücken zeichnen die beiden Briten syrische Kamele mit verfilztem Kopfhaar und birmanische Reispflanzer mit Shorts und Halbkugelhut. Dann stapeln sie die Seiten, greifen zum Leim – und gründen ein Imperium: Mit „Across Asia on the cheap“ beginnt die Erfolgsgeschichte des Lonely-Planet-Verlags.

Das improvisierte Typoskript wurde zum Symbol für die Träume einer ganzen Generation. 33 Jahre später lassen weit über zweihundert Titel den „Lonely Planet“ (LP) alles andere als einsam erscheinen. Jede Woche sind eine halbe Million Menschen mit einem Lonely Planet unterwegs, 60 Millionen Bände wurden bislang verkauft.

Auch hierzulande fanden Anfang der 1970er-Jahre die ersten alternativen Reiseführer reißenden Absatz. Viele Autoren tauschten damals in der Deutschen Zentrale für Globetrotter (dzg) ihre Erfahrungen aus und publizierten in der Autorengemeinschaft „Globetrotter schreiben für Globetrotter“. Später gründeten die Kleinstverleger Därr, Hoff, Meyer, Rump, Seul, Tondok ,Tüting und andere den Reise Know How Verlag. Neben diesem überlebten nur wenige der alternativen Verlage die 1990er-Jahre und das Schrumpfen des Buchmarktes.

Ausgerechnet die deutsche Übersetzung des Standardwerks englischsprachiger Rucksackreisender wird jetzt in Europas größtem Touristik- und Freizeitverlag verlegt. Das Unternehmen ist mit 240 Marco-Polo-Bänden sowie Marken wie JRO, Varta, Baedeker, Falk, HB, Kompass, Hallwag, Kümmerly + Frey am Markt. MairDumont präsentierte kürzlich die ersten zwölf von hundert ins Deutsche übersetzten Lonely-Planet-Titeln, Startauflage jeweils 10.000 Exemplare. Von solchen Zahlen können die Globetrotterverlage nur träumen.

Doch wie passt eine ehemals alternative Reiseführer-Reihe in das eher behäbige Sortiment von MairDumont? Das zu verstehen, bedarf eines Rückblicks. Der Umsatz auf dem bis 2001 boomenden Reisebuchmarkt schrumpfte 2002 um gut vier Prozent. Bei einem schrumpfenden Markt kann nur wachsen, wer die Konkurrenz verdrängt. Hinzu kommt, dass immer weniger Kunden immer günstigere Reiseführer kaufen, denn im ersten Halbjahr 2003 wurden bei 13 Prozent Umsatzminus nur drei Prozent Absatzminus gemeldet.

2004 rutschte MairDumont mit 112.367 Euro in die roten Zahlen, bei einem Umsatzrückgang auf rund 113 Millionen Euro (Vorjahr 175 Mio. Euro). Der Branchenprimus Mairs schluckte 2004 den schwächelnden Branchendritten Dumont und kämpft nun als MairDumont mit dem Verfolger ADAC. Wachstumsmärkte finden sich derzeit fast nur im Individualreisesegment. Der Anteil der Individualreisetitel ist steigerbar, von 19,5 Prozent in Deutschland auf potenzielle 50 Prozent wie in Großbritannien.

Das Wildern in einem fremden Marktsegment ist das Ergebnis des Ziels, diesen Wachstumsmarkt zu besetzen. Er trifft jedoch unmittelbar den gewachsenen Bereich der Globetrotter-Reiseführer. Hier sind seit Jahrzehnten Reisende am Werk. Hier übersetzte Udo Schwark viele Jahre Lonely-Planet-Reiseführer für den Gisela-Walther-Verlag, ohne mystifizierenden Überbau, ganz praktisch und nützlich an den Bedürfnissen Reisender orientiert.

MairDumont peilte seit je andere Zielgruppen an. Daher spekuliert die Konkurrenz darauf, dass sich der Aufwand für dieses Experiment nicht rechnen wird. Peter Rump: „Mal schauen, ob sich da in Zukunft was an den Marktanteilen ändert. Ich glaube das nicht wirklich und sehe der Sache recht gelassen entgegen.“ Vorerst nicht betroffen sind Kleinstverlage wie der Ilona-Hupe-Verlag, weil diese sich auf echte Nischen Afrikas beschränken, die selbst der englische LP aufgegeben hat.

Wirtschaftlich wirksam sind auf dem Reiseführermarkt die gleichen Mechanismen, die erst zu Wassertomaten und Gummihühnern, dann zum Aussterben des Einzelhandels führen und den Verbraucher kaum eine Alternative lassen zum konfektionierten Angebot der Discounter. Dass kleine Reihen als Folge großer Marken verdrängt werden, ist bekannt. Schnelldreher und Stapelware erhöhen den Umsatz, aber nicht die Vielfalt im Regal.

Norbert Lüdtke ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Zentrale für Globetrotter (dzg), www.globetrotter.org, die auch das Selbstreise-Handbuch herausgibt