: Die Unglücksinseln
WIRBELSTURM Die Philippinen werden regelmäßig von Naturkatastrophen heimgesucht. Kaum haben sich die Menschen einigermaßen erholt, steht das nächste Unglück bevor. Am schlimmsten trifft es immer die Armen
■ Für die Opfer des Taifuns „Haiyan“ bittet das Bündnis „Entwicklung Hilft“ um Spenden.
■ Spendenkonto: Konto 51 51, BLZ 370 205 00, Bank für Sozialwirtschaft, Stichwort „Taifun“
■ Das Bündnis besteht u. a. aus: Brot für die Welt, Kindernothilfe, medico international, terre des hommes und Welthungerhilfe.
AUS BANGKOK NICOLA GLASS
Denjenigen Helfern und Soldaten, die bislang in die philippinischen Katastrophengebiete vordringen konnten, bot sich ein Bild des Grauens: Verzweifelte Menschen, die inmitten der Trümmer kauerten, zerstörte Häuser und Straßen: „Haiyan“, einer der schwersten Wirbelstürme seit Jahrzehnten, war am Freitag mit voller Wucht auf die Ostküste der Philippinen in der Nähe der Inseln Leyte und Samar getroffen. Der Taifun, der am Sonntagabend die vietnamesische Küste erreichte, hatte Windgeschwindigkeiten von 300 Kilometern pro Stunde überschritten, teils war er über 360 Stundenkilometer schnell. Was bleibt, ist Verwüstung.
Innenminister Manuel Roxas, der die am schwersten verwüsteten Gebiete mit dem Hubschrauber überflogen hatte, zeigte sich schockiert: „Von der Küste bis zu einem Kilometer weit ins Landesinnere steht so gut wie nichts mehr. Es ist schrecklich, wie nach einem Tsunami.“ Weder ist das Ausmaß der Zerstörung noch die Zahl der Opfer absehbar. Am Sonntag erklärten die Behörden, dass es allein auf der schwer betroffenen Insel Leyte und der Küstenstadt Tacloban 10.000 Tote gegeben haben könnte; die meisten von ihnen seien in den Wassermassen ertrunken. Obwohl die internationale Hilfe angelaufen ist, sind viele zentralphilippinische Regionen nur schwer zu erreichen oder ganz von der Außenwelt abgeschnitten. Laut Katastrophenschutzbehörde sind über vier Millionen Menschen betroffen. Hunderttausende Bewohner haben nicht nur ihre Behausungen, sondern ihr ganzes Hab und Gut verloren. Viele suchen verzweifelt nach ihren Familien und Freunden: „Ich habe meinem Mann nur noch zurufen können, dass er unser Baby in Sicherheit bringen soll“, sagte eine weinende Frau.
In den Katastrophengebieten waren Strom- und Kommunikationsnetze unterbrochen, Flughäfen und Häfen wurden schwer beschädigt. Erst vor knapp einem Monat waren Teile der Zentralphilippinen von einem Erdbeben der Stärke 7,2 getroffen worden, bei dem mehr als 220 Bewohner ums Leben kamen. Tausende Soldaten und Helfer wurden mobilisiert, um zu den Sturmopfern vorzudringen, Hubschrauber wurden eingesetzt. Augenzeugen erklärten indes, dass es zu Plünderungen in Einkaufszentren und Lebensmittelläden gekommen sei, das Rote Kreuz berichtete von Überfällen auf Hilfskonvois.
Die Philippinen mit ihren über 7.000 Inseln werden aufgrund ihrer geografischen Lage regelmäßig von Stürmen und Erdbeben heimgesucht. Allein 20 Wirbelstürme treffen das Land durchschnittlich pro Jahr. „Haiyan“, der 24. Taifun auf den Philippinen seit Jahresanfang, wurde bereits im Vorfeld als noch verheerender eingestuft als der Tropensturm „Bopha“, der Ende 2012 über die südphilippinische Insel Mindanao hinweggefegt war. Damals kamen mindestens 2.000 Menschen ums Leben oder gelten bis heute als vermisst – die finanziellen Schäden betrugen umgerechnet eine Milliarde US-Dollar.
Dass Naturkatastrophen an Intensität zunehmen und immer schwerwiegendere Folgen haben, liegt nach Meinung von Experten im Klimawandel begründet. Dazu tragen auch die Zerstörung von Wäldern durch Brandrodungen und illegales Abholzen sowie der Bergbau bei. Umweltschützer und Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass die Ärmsten, die nur eine vergleichsweise geringe Verantwortung für die globalen Veränderungen tragen würden, fast immer als Erste betroffen seien. Gerade die arme Bevölkerung habe keine Versicherungen im Katastrophenfall, wie die Vergangenheit wiederholt bewiesen habe, monierte die Organisation „Focus on the Global South“. „Stattdessen haben diese Menschen alles verloren und die größten Schwierigkeiten, sich das bisschen an Besitz, den sie einmal hatten, wieder aufzubauen.“ Das zeigt sich auch immer wieder auf den Philippinen, wo knapp ein Drittel der über 90 Millionen Einwohner von weniger als einem US-Dollar am Tag ihr Dasein fristen müssen.
Als die Philippinen Ende 2012 vom Wirbelsturm „Bopha“ getroffen wurden, hatte sich die Bevölkerung auf der Insel Mindanao immer noch nicht von den Folgen des Taifuns „Washi“ in 2011 erholt: Ein Jahr später lebten immer noch Tausende Bewohner in Zelten oder Notunterkünften. Auch in anderen Fällen fühlten sich die Betroffenen alleingelassen: Als der Tropensturm „Ketsana“ 2009 rund 80 Prozent der Hauptstadt Manila und umliegender Provinzen unter Wasser gesetzt hatte, beschwerten sich viele Bewohner über die zu späte oder unzureichende staatliche Hilfe.