: Die Unfassbare
SPUREN Beate Zschäpe hat bei den Nachbarn für gute Stimmung gesorgt, als Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mordeten. Jetzt beginnt der NSU-Prozess. Man weiß einiges über sie. Es gibt Tausende Aktenseiten mit teils intimsten Details. Aber wer ist sie wirklich?
■ Die Angeklagten: Am Mittwoch fängt in München der Prozess gegen Beate Zschäpe, 38, und vier mutmaßliche Helfer an. Zschäpe gilt als einziges noch lebendes Mitglied des Nationalsozialistischen Untergrunds. Die Bundesanwaltschaft hat sie wegen schwerer Brandstiftung, Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe und Mittäterschaft bei zehn Morden angeklagt, obwohl sie wohl nicht direkt an den Taten beteiligt war.
■ Das Verfahren: Bisher sind bereits 86 Prozesstermine bis Januar 2014 angesetzt. Der Präsident des Münchner Oberlandesgerichts geht aber von „deutlich mehr als einem Jahr“ aus. Neben den fünf Richtern, den bis zu fünf Vertretern der Anklage, den fünf Angeklagten und zwölf Verteidigern sind 71 Nebenkläger mit 49 Anwälten am Prozess beteiligt. Screenshots: taz
VON WOLF SCHMIDT
Kann man das Böse messen?
Größe: 1,66 Meter
Gewicht: 63 Kilogramm
Schuhgröße: 38
Kopfform: rund/breit
Haarfarbe: dunkelbraun
Augenfarbe: blaugrau
Stimme: schnell, laut
Sprache: Deutsch, Thüringer Dialekt
Personenbericht des BKA. Zschäpe, Beate. Zuletzt gemeldet 1998 in Jena, Schomerusstraße 5. In wenigen Tagen wird sie in München vor Gericht stehen.
Es geht dabei nicht nur um die Frage, ob Beate Zschäpe als Mörderin verurteilt wird. Es geht auch darum, wie der Nationalsozialistische Untergrund 13 Jahre abtauchen, rauben, Bomben zünden und töten konnte, ohne dass der Staat es verhinderte.
Es wird der bedeutendste Prozess seit dem RAF-Verfahren in Stammheim in den 70er Jahren.
Am Mittwoch, 10 Uhr, muss sich Beate Zschäpe der Öffentlichkeit stellen.
„Die Nazibraut“, „die braune Witwe“, „böses Mädchen“. So nennen Journalisten sie.
Wer ist diese Frau?
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Kriminalbeamte haben im Sommer 2012 ein Video von Beate Zschäpe gemacht. Zschäpe musste dabei erst frontal in die Kamera schauen, sich dann um ihre Achse drehen und wieder in die Kamera schauen. Noch mal mit Brille. Und mit Pferdeschwanz statt offenen Haaren.
Sie trägt auf diesen Bildern ein pinkfarbenes Shirt Marke Tommy Hilfiger und eine Jeans mit glitzernden Applikationen: Herzen und Blumen.
Würde man nicht wissen, dass diese Frau wegen zehnfachen Mordes aus neonazistischen Motiven angeklagt ist, man könnte sie in dem Moment für eine girliehaft angezogene Mittdreißigerin aus dem Nachmittagsprivatfernsehen halten.
An einer Stelle guckt sie mit großen Augen und fast kokettem Lächeln in die Kamera. Nächste Einstellung, plötzlich ändert sich ihr Gesichtsausdruck wieder, die Stirn zieht sich zusammen, die Lippen werden schmal, ihr Blick wird – ja: böse – und man bekommt für eine Sekunde eine Ahnung, dass es da noch eine andere Beate Zschäpe gibt.
Wenn die Ermittler nicht irren, ist diese Frau die einzige noch lebende NSU-Terroristin. Damit kann nur sie Auskunft über das Innenleben der Zelle geben und die vielen offenen Fragen zum Netz der Helfer und Helfershelfer beantworten.
Bisher schweigt Zschäpe, auch auf Anraten ihrer Anwälte, die die Indizienkette der Bundesanwaltschaft in Zweifel ziehen.
Die Frau mit den zwei Gesichtern: Es klingt nach dem Klischee eines Porträts einer Terrorverdächtigen, die ein Drittel ihres Lebens im Untergrund verbracht hat: 5.030 Tage. Aber deshalb muss es nicht falsch sein. Es reicht aber auch nicht, um Zschäpe zu beschreiben. Und um sie zu begreifen erst recht nicht. Wenn man das überhaupt kann.
Solange Beate Zschäpe nicht redet, muss man sich durch mehrere zehntausend Seiten Akten wühlen, die die Ermittler und die Untersuchungsausschüsse zum NSU in Berlin, Erfurt, Dresden und München zusammengetragen haben.
Wenn man versucht, zu verstehen, muss man die Orte besuchen, an denen sie gelebt hat. Man muss den Menschen zuhören, die sie trafen. Um so die beispiellose Biografie einer deutschen Rechtsextremistin zu rekonstruieren.
4. November 2011: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt liegen tot in einem Wohnmobil in Eisenach. Das Ende der Terrorzelle NSU, nach dreizehn Jahren. 181 Kilometer östlich, in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau-Weißenborn, sucht die Benutzerin „Liese“ am Computer nach Nachrichten. „Liese“ ist einer der Alias-Namen von Beate Zschäpe. Wie sie vom Tod ihrer Kumpanen erfährt, ist immer noch unklar. Aber irgendwie muss sie es mitbekommen haben. Nun flieht sie. Kurz vorher tippt „Liese“ noch einen Satz in das Suchfeld des Internetbrowsers: „wohin kann ich sicher spenden“. Sie geht auf Seiten der Diakonie, eines Tierheims, von Greenpeace.
Wollte Zschäpe noch das vom NSU erbeutete Geld loswerden? Und so ihr Gewissen erleichtern?
Es kommt nicht mehr dazu. Mehrere tausend Euro an Bargeld und Schecks lässt sie zurück. Dafür greift sie sich, so glauben die Ermittler, 15 Exemplare des NSU-Bekenner-Videos, die eingepackt und adressiert bereitliegen. Darauf lässt die Terrorgruppe ihre zehn Morde von Paulchen Panther feiern.
Zschäpe vergießt zehn Liter Benzin, das in einem Kanister für den Tag X bereitsteht, und soll dann gegen 15.05 Uhr die Wohnung im ersten Stock angezündet haben – während sich direkt nebenan eine 89-jährige, gehbehinderte Rentnerin aufhält.
Kurz darauf knallt es. Drei Mal. Die Explosionen sprengen die Außenwand des Altbaus weg. Flammen lodern aus dem Dach.
Beate Zschäpe hetzt die Straße hinunter. In der Hand die Körbe mit ihren beiden Katzen. Sie stellt die Tiere einer Frau vor die Füße. Ob sie kurz auf die aufpassen könne? Dann läuft sie davon.
Vier Tage reist Zschäpe mit dem Zug durch Deutschland. Unterwegs habe sie Bekennervideos verschickt, als „letzten propagandistischen Akt“ des NSU, formuliert die Bundesanwaltschaft.
Am 8. November meldet sie sich bei der Polizei in Jena: „Ja, guten Tag, hier ist Beate Zschäpe …“
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Sechs Monate später wühlen Bagger in einem Waldstück in der Nähe von Jena-Winzerla die Erde auf. Hier stand mal eine alte Fliegerscheune, an der sich in den 90er Jahren Neonazis trafen und manchmal auch herumballerten, wie einer berichtet, der damals in der Szene dabei war.
Knapp zwei Stunden lang graben die Bagger, bis sie eine Plastiktüte mit halb verrotteten Papieren von Beate Zschäpe finden. Ein Helfer der Neonazifrau hatte sie nach deren Untertauchen 1998 aus Zschäpes Wohnung geholt und hinter der Scheune verbuddelt. 14 Jahre lagen sie da.
Ein Zeugnis aus der DDR etwa. Das für das zweite Schuljahr von Zschäpe, 1982/1983. „Beate ist bemüht, gute Lernergebnisse zu erzielen. Oft fehlen ihr aber die notwendige Konzentration und Ordnung, sodass sie ihre Leistungsgrenze nicht erreicht“, steht dort. „Am Pionierleben beteiligt sie sich aktiv und mit viel Freude.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte Zschäpe, deren Mutter sich mehrfach scheiden ließ, schon zwei Mal einen neuen Nachnamen bekommen.
Im Untergrund wird sie später mindestens elf Tarnnamen tragen und damit oft Identitäten anderer annehmen: „Mandy P.“, „Silvia R.“, „Susann D.“. Oder einfach nur „Liese“.
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Beate Zschäpe ist kein Wunschkind, als sie am 2. Januar 1975 in Jena geboren wird. Ihre Mutter hat in Bukarest Zahnmedizin studiert und dort ein Verhältnis mit ihrem Kommilitonen Valer B. angefangen, der später bis zu seinem Tod im Jahr 2000 in Westfalen praktiziert.
Die Vaterschaft hat der Rumäne nie anerkannt. Auch Beate Zschäpe wollte ihre südosteuropäischen Wurzeln nie wahrhaben.
Die bekannteste Fremdenhasserin der Nachkriegsgeschichte hat einen Migrationshintergrund.
Die Großmutter wird Beate Zschäpes wichtigste Bezugsperson. Nachdem sie sich im November 2011 der Polizei stellte, nannte Zschäpe sich ein „Omakind“.
Wegen einer Allergie kann die Mutter nie als Zahnärztin arbeiten. Ihre zwei Ehen zerbrechen, bevor Beate Zschäpe fünf Jahre alt ist. Eine Zeit lang wohnen sie und ihre Mutter in einer Einzimmerwohnung mit Schlafnische in Jena-Lobeda. 1987 ziehen sie dann nach Jena-Winzerla, eine Siedlung mit braungrauen Waschbeton-Plattenbauten. Die Sechsgeschosser sind von 1980 an vor allem für die Angestellten des Optikkombinats VEB Carl Zeiss Jena gebaut worden. Zschäpes Mutter arbeitet dort als Buchhalterin, bis sie kurz nach der Wende arbeitslos wird. „Da ging unser Drama los“, sagt sie nach dem Auffliegen des NSU der Polizei.
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Die Zeit nach 1989 war eine Zeit ohne Gewissheiten, in der die alten Autoritäten und Überzeugungen ausgedient hatten und neue erst gefunden werden mussten. In der viele die Freiheit umarmten, während sich andere von ihr überfordert fühlten.
Anders als es die DDR offiziell propagiert hatte, hatte sich unter der Oberfläche antifaschistischer Staatsräson längst der Rassismus ausgebreitet. Bald schon wurde der Hass offen sichtbar, nicht nur in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen.
In Jena werden die Plattenbausiedlungen von Lobeda und Winzerla im Nachwendevakuum zu braunen Hochburgen. „Wenn man hier 1991 über die Schulhöfe gegangen ist, hatten zwei Drittel Bomberjacken an“, erinnert sich ein Sozialarbeiter.
Beate Zschäpe treibt sich zunächst noch in einer Clique von Halbstarken herum, hört die Toten Hosen. In der Goetheschule in Winzerla gilt sie als Mädchen, das im Mittelpunkt stehen, auffallen will. Mehrere Male wird sie in den Jahren nach der Wende beim Klauen erwischt, kriegt Arbeitsstunden, später eine Geldstrafe von 500 Mark.
Ein Video vom Sommer 1991 zeigt Zschäpe mit 16, aufgenommen vor dem gerade entstehenden Jugendzentrum „Winzerclub“. Die Baracke diente einst der FDJ als Disko. Zschäpe trägt auf dem Video ein rückenfreies Top und Glitzerohrringe, raucht betont lässig eine Zigarette und flirtet mit dem Jungen neben ihr. Der hat ein Public-Enemy-Shirt an. Noch sind die Subkulturen wild zusammengewürfelt.
Doch im selben Jahr ist Beate Zschäpe in der Schule schon mit ersten rechten Sprüchen aufgefallen: Ausländer gehörten verkloppt, findet sie da. Sie ist nicht die Einzige.
Uwe Mundlos ist erst kurz vor dem Mauerfall mit seiner Familie nach Winzerla gezogen. Beate Zschäpe freundet sich mit dem Sohn eines Informatikprofessors an, hängt mit ihm in den Treppenhäusern des Viertels ab. Später werden Zschäpe und der eineinhalb Jahre ältere Mundlos ein Paar. Sie verloben sich sogar.
Im Jahr der Deutschen Einheit soll Uwe Mundlos am Computer ein Spiel programmiert haben, bei dem man Juden erschießt.
Im Frühsommer 1992 kreuzt er in SA-Uniform am „Winzerclub“ auf. Auch der vier Jahre jüngere Uwe Böhnhardt soll an jenem Tag zum ersten Mal mit dabei gewesen sein, erinnert sich ein Sozialarbeiter.
Böhnhardt ist ein in der Schule gescheiterter Krawallo, der Benzin klaute und Autos knackte. Mit 14 schickte ihn die Familie ins Heim, doch selbst da flog er raus. Schon früh hat er in Jena den Ruf, ein Schlägertyp und Waffennarr zu sein. „Böhnhardt war wie eine Bombe“, sagt einer, der ihn Anfang der 90er kannte.
Seine Familie hat später die Hoffnung, dass Beate Zschäpe ihn aus der rechten Szene herauszieht. Sie halten sie für ein „nettes Mädchen“.
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8. November 2012. Karlsruhe, Brauerstraße. Generalbundesanwalt Harald Range hat kurzfristig die Presse zusammengerufen. Es ist genau ein Jahr her, dass sich Beate Zschäpe in Jena der Polizei gestellt hat. Ihr Gesicht ist hundertfach in Zeitungen, Magazinen, Fernsehsendungen zu sehen gewesen.
Ein Gesicht wie ein Rätsel, wie eine Frage. Die war das?
Ein weiteres Gesicht des Unbegreiflichen.
Wie Anders Breivik.
Nur noch gewöhnlicher. Ohne dieses Irre. Und dadurch: noch näher. Noch unfassbarer.
Nun wird sie angeklagt. Range sagt: „Die NSU-Mitglieder verstanden sich als einheitliches Tötungskommando, das seine feigen Mordanschläge aus rassistischen und staatsfeindlichen Motiven arbeitsteilig verübte.“
Es ist die maximale Anklage: Obwohl Zschäpe bei den Morden des NSU nicht selbst schoss, soll sie wie eine Mörderin verurteilt werden. Als Mittäterin.
Laut der 488 Seiten starken Anklageschrift war sie an der Planung aller Taten beteiligt, soll für sichere Rückzugsräume gesorgt, die Männer gedeckt, Tarnpapiere mit beschafft und die Kasse verwaltet haben. An einem Tatort in Nürnberg könnte sie sogar mit vor Ort gewesen sein.
Mehr als 600 Zeugen, knapp 400 Urkunden und 22 Sachverständige sollen das stützen. Ob das Gericht die Indizien am Ende wirklich als Mittäterschaft wertet oder nur den schwächeren Vorwurf als erwiesen ansieht, eine Mordbeihilfe: Das wird eine der zentralen juristischen Fragen des Prozesses. Im Strafrecht gibt es wenig Komplexeres. Zschäpes Verteidiger finden, dass sie „einer Mittäterschaft an den Tötungsdelikten nicht hinreichend verdächtig ist“.
Sollten die Richter der Anklage folgen, würde die heute 38 Jahre alte Zschäpe wohl noch über ihren 60. Geburtstag hinaus im Gefängnis sitzen.
Als Brandstifterin. Terroristin. Als zehnfache Mörderin.
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Kindergärtnerin. Das wollte Beate Zschäpe angeblich mal werden. Doch nach der zehnten Klasse kriegt sie erst nur eine ABM-Stelle als Malergehilfin. Von 1992 bis 1995 lässt sie sich dann zur Gärtnerin ausbilden, Fachrichtung Gemüsebau, Zeugnis „befriedigend“. Danach ist sie mal arbeitslos, mal in einer Maßnahme, dann wieder arbeitslos.
Der Abstieg der Mutter, die eigene Perspektivlosigkeit: Wie viele in der damaligen Zeit hat Beate Zschäpe die sozialen Probleme offenbar auf „die Ausländer“ projiziert. Der deutsche Staat zahle Afrikanern sogar die Rastalocken, soll sie mal einem Kollegen erzählt haben. Zu Hause las Zschäpe die rechtsex-treme Deutsche Wochen-Zeitung.
In diesen Jahren nach der Wende ziehen Rechtsextreme durch Jena und beleidigen Vietnamesen auf dem Wochenmarkt als „Kanaken“, ziehen ihnen die Zigaretten ab. Auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sollen dabei gewesen sein, berichten Zeugen.
Von 1993 an formiert sich in Jena eine Kameradschaftsszene. Das Trio wird zu ihrem harten Kern.
Zschäpe ist nicht die einzige Frau in dieser Szene. Manche von ihnen tragen Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln und die für Skingirls typische Frisur: Vorne Fransen, hinten kurz. Die beste Freundin von Zschäpe war so ein Skingirl. Sie soll einmal nach einem Fußballspiel der heutigen Linkenabgeordneten Katharina König ins Gesicht getreten haben. Eine Narbe unter deren Auge zeugt davon.
Beate Zschäpe trägt damals zwar ab und an eine grüne Bomberjacke, ist ansonsten aber unauffällig angezogen: Jeans, Halbschuhe, schulterlange Haare. Sie war nie ein Skingirl. Aber auch sie galt als knallhart.
Einmal, sagt einer der nun mitangeklagten NSU-Helfer, habe sie im Zug einer Punkerin „direkt eine reingehauen“, weil die sie blöd angeguckt habe. Als gefühlskalt, berechnend, bauernschlau beschreiben sie Polizisten, die Zschäpe schon vor dem Untertauchen vernahmen.
Vielleicht ist sie Anfang der 90er eine Mitläuferin gewesen – jetzt war sie es lange nicht mehr.
Aber noch hätte es einen Ausweg gegeben. Einige der Rechten von damals schafften den Ausstieg. Sie zogen weg, wurden Techniker, Marketingleute, Pädagogen. Sie gründeten Familien. Sie begannen von vorne.
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17. August 1996. Zschäpe marschiert in Worms zum neunten Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß auf. Die etwa 200 Rechtsextremen, mit denen sie in die rheinland-pfälzische Kleinstadt gekommen ist, gehören zur Avantgarde der deutschen Neonaziszene.
Die Demo ist unangemeldet, illegal. Erst nach einer halben Stunde kann die Polizei die Rechten in der Innenstadt festsetzen. Auf einem Foto, das Antifa-Aktivisten in diesem Moment schießen, ist Zschäpe in einem Lonsdale-Pullover zu sehen. Sie sitzt auf dem Boden, erste Reihe. Ihr Blick ist kühl. Die Botschaft: Uns kann keiner was. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt werden in dieser Zeit mehr und mehr zu Vollzeitaktivisten. Die Konfrontation mit dem verhassten Staat zelebrieren sie fast lustvoll.
Sie provozieren in der Gedenkstätte des KZs Buchenwald – die beiden Männer in SA-Uniform –, demonstrieren gegen die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht und knüpfen Kontakte zum militanten „Blood & Honour“-Netz, das einen „Rassenkrieg“ propagiert.
Seit 1995 kennt auch der Verfassungsschutz Zschäpes Namen. Sie nimmt an Treffen der „Anti-Antifa Ostthüringen“ teil, aus der der „Thüringer Heimatschutz“ hervorgeht. Dessen Anführer sagt heute über Zschäpe: „Sie verfügte über fundiertes Wissen, wenn sie sich beispielsweise bei Veranstaltungen zu germanenkundlichen Fragen, NS-Wissen oder so geäußert hat.“
Im September 1995 werfen Zschäpe und Böhnhardt Eier auf die Gedenkstätte der Opfer des Faschismus in Rudolstadt und hinterlassen Zettel: „Deutsche, lernt wieder aufrecht zu gehen. Lieber sterben, als auf Knien leben.“ Böhnhardt ist an dem Tag mit einer Stahlkugelschleuder bewaffnet. Zschäpe mit einem Dolch.
Die beiden Neonazis sind jetzt ein Paar. Während Mundlos bei der Bundeswehr das Schießen lernte, hatten sie eine Beziehung begonnen. Mundlos beendet die Freundschaft zu Böhnhardt und seiner Exverlobten Zschäpe deshalb aber nicht. Die Dreieckskonstellation hält nicht nur, sie wird immer fester.
Beate Zschäpe hat später auch Affären mit anderen Männern aus der militanten Neonaziszene. An der Bindung zu Mundlos und Böhnhardt ändert das nichts. Die drei seien eine verschworene Gemeinschaft gewesen, erinnern sich Weggefährten. Unzertrennlich. „Wahrscheinlich hat ihre Art die Männer zusammengehalten“, sagt ihr Cousin in seiner Zeugenvernehmung. „Sie hatte die Jungs im Griff.“
Als Zschäpe sich 2011 der Polizei stellt, nennt sie die beiden Uwes ihre „Familie“.
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Jena-Winzerla, Schomerusstraße 5. Vor dem Untertauchen hat Beate Zschäpe in der obersten Etage des Plattenbaus ihre einzige eigene Wohnung. An der Wand hängt eine Reichskriegsflagge, daneben eine Armbrust, ein Morgenstern und mehrere Messer. Unter dem Sofa lagert ein von den Neonazis selbst gebasteltes Brettspiel: „Pogromly“.
An den Kläranlagen in Jena hat Beate Zschäpe noch eine Garage angemietet. Die Nummer 5.
Einer, der nun als NSU-Helfer angeklagt ist, berichtete den Ermittlern von Debatten unter den Jenaer Neonazis in den 90ern. Es ging um die Frage der Gewalt. Die drei hätten zu denen gehört, die „mehr machen“ wollten.
1996 und 1997 erschrecken die Jenaer über Bombenattrappen. Sie tauchen im Stadion auf, vor dem Theater und landen per Brief bei der Stadtverwaltung und der Zeitung. „Das wird der letzte Scherz jetzt sein“, heißt es in einem Schreiben.
Am 26. Januar 1998 durchsucht die Polizei Zschäpes Garage. Sie entdeckt darin fünf Rohrbomben, davon eine fertige. Die drei Neonazis können entkommen.
In der Garage hinterlassen sie auf einer Diskette einen Text: „Alidrecksau, wir hassen dich.“
„Ein Türke, der in Deutschland lebt und sagt, er ist auch hier geboren, den sehen wir schon als verloren. Er darf jetzt rennen oder flehen, er kann auch zu den Bullen gehen, doch helfen wird ihm alles nicht – denn wir zertreten sein Gesicht.“
„Tatrelevanz: Keine“ notiert ein Thüringer LKA-Beamter.
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14 Jahre später, im Juni 2012, sitzt Beate Zschäpe mit gefesselten Händen und Füßen in einem Gefangenentransporter von Köln in die JVA Gera. Sie darf dort ihre Mutter und ihre Oma sehen. Nach einem Tag geht es wieder zurück.
Unterwegs verwickeln die Beamten Zschäpe in ein Gespräch. Laut einem Vermerk redet sie über Frisuren, Mentholzigaretten, Thüringer Bratwürste, „Deutschland sucht den Superstar“ und Thomas Gottschalk. Und über Briefe, die sie von unbekannten Verehrern bekomme. Dabei habe sie doch so „schrecklich“ ausgesehen auf den Fotos, die in den Zeitungen erschienen, nachdem sie sich stellte.
Augenringe, fettige Haare, hängende Mundwinkel.
Beate Zschäpe ist eine eitle Extremistin.
Im Brandschutt der Zwickauer Wohnung finden die Ermittler einen eingescannten Zettel mit einer Wette zwischen ihr und Uwe Böhnhardt. „Ich bin mir sicher, dass meine tolle Figur am 1. Mai absolut sommer- und strandtauglich sein wird“, heißt es dort. Ansonsten werde sie die Wohnung putzen und „200 x Videoclips schneiden“.
War damit das Bekennervideo der Terrorgruppe gemeint?
Wie so vieles kann auch das nur Zschäpe beantworten. Sie ringe schon länger damit, auszusagen, sagte sie den Beamten während der Gefangenenfahrt durch Deutschland. Ihrer Oma wolle sie erklären, warum alles so gekommen sei.
Sie sei niemand, der nicht zu seinen Taten stehe, sagt sie.
Bisher hat sie es noch nicht getan.
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Zwickau Hauptbahnhof, vermutlich 2001.
Der Mann, der an diesem Tag am Bahnhof in der sächsischen Kleinstadt ankommt, ist ein alter Bekannter. Er hat Zschäpe und ihren beiden Männern in einem Stoffbeutel etwas mitgebracht.
Wie er nach Auffliegen des NSU selber der Polizei sagt, holt ihn Beate Zschäpe an jenem Tag am Bahnhof ab. Zusammen gehen sie zu Fuß, bis sie nach einigen hundert Metern an ein Eckhaus kommen: die Polenzstraße 2. Die Gegend gehört zu den ärmeren Ecken der Stadt. Wenig Arbeit, viel Alkohol.
In einer Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss ist das Trio zwischen Mai 2001 und März 2008 untergekommen. „D.“ steht auf dem Klingelschild.
Im Haus soll einer der beiden Uwes dann den Beutel des Boten geöffnet haben, eine Pistole herausgeholt und sie durchgeladen haben – während Beate Zschäpe danebensaß.
Für die Ermittler ist diese Zeugenaussage ein wichtiges Indiz, dass Zschäpe in die Taten des Trios eingebunden war. Wäre sie sonst bei einer Waffenübergabe dabei?
„Sie war auf keinen Fall das Mäuschen, das den beiden nur das Essen kocht“, sagt ein ehemaliger Skinhead, der die drei anfangs im Untergrund bei sich wohnen ließ.
In der Polenzstraße 2 in Zwickau-Marienthal kriegt niemand etwas vom Treiben des Trios mit. Manche halten sie für „verkappte Grüne“. Fahrräder, Wohnmobile, Ausflüge.
„Lisa“ heißt Beate Zschäpe hier im Haus. Sie freundet sich mit den Nachbarn an, vor allem mit den Frauen, hört sich ihre Sorgen an, manchmal bereden sie auch Intimes. Sie sitzen im Hof zusammen, trinken Wein.
Für eine arbeitslose Mutter von drei Kindern bezahlt Zschäpe den Einkauf im Supermarkt, wenn das Geld knapp wird. „Sie war wie eine große Schwester“, sagt eine Nachbarin. Selbst eine afghanische Familie im Haus erinnert sich an nichts Negatives.
Das Heimchen mit der guten Seele.
Beate Zschäpe, formuliert die Bundesanwaltschaft, habe den „Anschein eines normalen Zusammenlebens“ erweckt – damit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt morden konnten.
Enver Simsek, Nürnberg, 9. September 2000.
Abdurrahim Özüdogru, Nürnberg, 13. Juni 2001.
Süleyman Tasköprü, Hamburg, 27. Juni 2001.
Habil Kilic, München, 29. August 2001.
Mehmet Turgut, Rostock, 25. Februar 2004.
Ismail Yasar, Nürnberg, 9. Juni 2005.
Theodoros Boulgarides, München, 15. Juni 2005.
Mehmet Kubasik, Dortmund, 4. April 2006.
Halit Yozgat, Kassel, 6. April 2006.
Michèle Kiesewetter, Heilbronn, 25. April 2007.
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Juli 2007. Zweieinhalb Monate ist es her, dass der NSU seinen letzten Mord verübt hat. Nun bepacken Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe einen dunkelblauen VW-Touran und fahren nach Fehmarn. Auf der Ostseeinsel mieten sie sich in einem Wohnwagen auf der Campinganlage „Wulfener Hals“ direkt am Sund ein. Bis 2011 werden sie immer wieder herkommen.
„Gerry“, „Max“ und „Liese“, wie die drei sich hier nennen, freunden sich schnell mit anderen Urlaubern an. Böhnhardt fährt mit ihnen Schlauchboot. Mundlos geht surfen und hilft den Campingplatznachbarn bei Computerproblemen. Zschäpe treibt Frühsport mit den Frauen und legt sich mittags mit ihnen in die Sonne. „Die Liese war eine liebe Person“, sagt eine der Urlaubsbekanntschaften, „die sich auch viel mit unseren Kindern beschäftigt hat“.
Wenn es ans Bezahlen ging, sei es für Sonnenliegen oder Grillutensilien, soll immer Zschäpe in das prall gefüllte Portemonnaie gegriffen haben, sagen Zeugen. Die „Managerin des Geldes“ nennt sie ein Campingplatznachbar im Rückblick.
Eine Teenagerin, zu der „Liese“ auf Fehmarn besonders freundlich ist, ist „bekennende Antifaschistin“, wie sie nach Auffliegen des NSU der Polizei sagt. Auf ihrer Umhängetasche: ein Aufnäher „Gegen Nazis“. Eine Faust zerschlägt ein Hakenkreuz.
Zschäpe soll das Zeichen gesehen haben. Anmerken lässt sie sich auch hier nichts.
Sie verstellt sich jetzt schon seit einem Jahrzehnt. Sie geht mit der Krankenkassenkarte einer anderen Frau zum Arzt, überredet eine Nachbarin, einen Handyvertrag für sie abzuschließen, und sagt unter falschem Namen bei der Polizei aus, als die wegen eines Wasserschadens Fragen stellt.
Man nimmt ihr das alles ab. Sie scheint ihre Rolle zu beherrschen. Die nette Lisa. Die liebe Liese.
Oder ist das keine Rolle? Ist sie wirklich so – und so?
***
Nach zehn Morden zieht sich das NSU-Trio im April 2008 in die Frühlingsstraße 26 in Zwickau-Weißenborn zurück, eine gutbürgerliche Gegend. Das 1928 erbaute Doppelhaus, in das sie einziehen, nennen sie im Viertel das alte Siedlerheim.
Die Neonazis lassen die 125-Quadratmeter-Wohnung im ersten Geschoss zu einer kleinen Festung ausbauen. Eine Kamera in einem Blumenkasten vor dem Küchenfenster filmt alles, was sich vor dem Eingang tut. Zwei weitere überwachen die Straße. Eine vierte steckt im Türspion und filmt das Treppenhaus.
Die beiden Männer sieht man eher selten im Haus, und wenn, dann nur kurz. Zschäpe dafür häufiger. „Alles, was Öffentlichkeitsarbeit war, hat die Frau gemacht“, sagt eine Nachbarin.
Sie war die Außenministerin des Terrortrios.
Im Erdgeschoss betreiben zwei griechische Brüder eine Taverne. Beate Zschäpe kommt häufiger zum Essen oder auf einen Ouzo herunter. Zum Geburtstag der beiden Griechen schenkt Zschäpe ihnen Figuren von Asterix und Obelix.
Im Juni 2005 hatten Mundlos und Böhnhardt in München einen Griechen mit drei Kopfschüssen hingerichtet.
Noch häufiger lässt sich Zschäpe in einer Feierabendrunde blicken, die sich im Keller eines Nachbarn zum Trinken und Rauchen trifft. Die Männer nennen sie „Diddl-Maus“, wegen ihrer großen Hausschuhe. Und weil sie sie süß finden.
Vielleicht gefiel es Zschäpe dort wegen solcher Flirtereien. Vielleicht aber auch wegen eines Fotos, das auf einem Fernseher im Keller stand.
Es zeigte Adolf Hitler.
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Für den 14. März 2010 verabredet sich Beate Zschäpe mit einer Gruppe von Frauen, um zu „Cindy aus Marzahn“ zu gehen, die an diesem Abend in die Stadthalle kommen sollte. Als das Event kurzfristig verschoben wird, geht die Gruppe ins „Enchilada“ am Hauptmarkt, was trinken.
Je länger die Illegalität dauert, desto mehr traut sich Zschäpe auch in Zwickau in die Öffentlichkeit. Es wirkt wie ein ziemlich unbeschwertes Leben – für eine Neonazifrau im Untergrund.
Zwei Wochen später kommt „Cindy aus Marzahn“ doch noch nach Zwickau. Am Ende des Auftritts schreibt die Komikerin mit dem pinkfarbigen Jogginganzug Zschäpe sogar eine Widmung auf ihre Autogrammkarte: „Für Liese“. Die Ermittler finden die angekokelte Karte später im Brandschutt der Wohnung.
Beate Zschäpe muss sich sehr sicher gefühlt haben.
Nur wenige Wochen bevor der NSU auffliegt, besucht sie das „Neuplanitzer Teichfest“ im Südwesten Zwickaus. Eine Stadtteilzeitung druckt ein Foto von dem Fest. Zschäpe sitzt entspannt mit Sonnenbrille auf einer Bierbank vor der Krapfenbar.
Das Foto ist in einem Ausstellungskatalog des Militärhistorischen Museums in Dresden über rechtsextreme Gewalt gelandet.
Noch bevor der Prozess beginnt, ist Beate Zschäpe Geschichte.
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17. April 2013. München, Nymphenburger Straße. Gegen 10 Uhr werden Wachleute sie in den Saal A 101 im Strafjustizzentrum führen.
Die Angehörigen der Ermordeten werden dort warten.
■ Wolf Schmidt, 34, taz-Redakteur für Extremismus und Terrorismus, beschäftigt sich seit 520 Tagen mit dem NSU