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■ Die US-Intervention in Somalia hat ihre Ziele nicht erreichtStationen eines Scheiterns

„Die USA wurden mit Blumen willkommen geheißen, aber mit Blut auf den Uniformen werden sie wieder abziehen.“ Der Kommentar eines Chirurgen in Mogadischu gegenüber dem britischen Guardian ist eine drastische Umschreibung der heutigen Situation in Somalia. Die Schießereien und Massendemonstrationen Ende Februar sind ein augenfälliger Beleg: Knapp drei Monate nach ihrem Einmarsch stehen die Vereinigten Staaten vor einem Scherbenhaufen.

Berichte aus der somalischen Hauptstadt stimmen überein: Die Stationierung von 30.000 fremden Soldaten hat die Sicherheitslage nicht verbessert. Nach UNO-Angaben wurden in den ersten zwei Monaten dieses Jahres in Mogadischu genauso viele somalische Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen ermordet wie im gesamten Jahr 1992. Zwar funktionieren Hungertransporte zwischen den Städten zuverlässiger als zuvor. Aber in keiner Region des besetzten Somalia können die Menschen sicher sein, daß der Krieg zu Ende ist. Der US-Sonderbeauftragte Robert Oakley verließ Mogadischu am 3.3. mit dem wohl nur halb ironischen Satz: „Ich hoffe, daß die Somalier nicht wegen meiner Abreise die Hoffnung aufgeben.“

Nach einem Monat eine „stabile Situation“?

Am 3. Dezember 1992 autorisierte der UNO-Sicherheitsrat einstimmig einen internationalen Truppeneinsatz in Somalia, „um so bald wie möglich ein sicheres Umfeld für die humanitären Hilfsoperationen herzustellen“. Sechs Tage später landeten im Morgengrauen die ersten US-Soldaten auf dem Strand der somalischen Hauptstadt, rasch gefolgt von weiteren Einheiten aus den USA und anderen Staaten. Binnen weniger Wochen waren fünf südsomalische Städte als strategische Zentren zur Hilfsgüterverteilung besetzt; der gesamte Süden Somalias, von der kenianischen Grenze bis Belet Huen, wurde Operationsgebiet der Interventionstruppe. Schon Mitte Januar sagte Robert Johnston, US-Oberbefehlshaber in Somalia, in sieben der acht Verteilungsregionen herrsche eine „stabile Situation“: „Ich könnte den Großteil des Landes noch heute an die Vereinten Nationen übergeben.“ Am 20. Januar, dem Tag des Amtsantritts Clintons, wurde die erste US-Einheit abgezogen. Am 30.1. erklärte Johnston die US- Aufgabe in Somalia für „beendet“ – eine Äußerung, die seither oft wiederholt wurde.

Was die US-Aufgabe tatsächlich war – darüber herrschte von Anfang an Unklarheit. Sollten die US-Truppen Entwaffnungen vornehmen oder nicht? Sollten sie lediglich die humanitäre Hilfe sichern und dann gleich abziehen, oder sollten sie länger bleiben, um einen dauerhaften Frieden zu garantieren? Sollten sie neue lokale Verwaltungsstrukturen aufbauen oder eine eigene De-facto-Militärverwaltung installieren? Sollten sie sich neue politische Gesprächspartner in Somalia suchen oder sich mit den vorhandenen Kriegsführern arrangieren? Sollten sie die politische Neuordnung des Landes selbst vorantreiben oder dies der UNO überlassen?

All diese Fragen haben die Verantwortlichen der US-Operation zu verschiedenen Zeiten verschieden beantwortet. Einerseits verwiesen sie auf das UNO-Mandat, das ihre Mission auf die Sicherung humanitärer Hilfe beschränkt; andererseits erklärten sie, daß sie nicht abziehen könnten, wenn eine UNO-Nachfolgetruppe noch mit militärischem Widerstand somalischer Gruppen rechnen müsse. Die US-Truppen haben einige Somalis entwaffnet, vornehmlich Wachleute von Hilfsorganisationen und Geschäftsmännern – wodurch diese noch ungeschützter sind als zuvor; sie haben aber gleichzeitig die Waffenarsenale der großen Kriegsherren nicht beschlagnahmt, sondern höchstens die somalische Waffenverteilungs- und Waffenlagerungsökonomie in neue, noch unbekanntere Bahnen gelenkt, deren Profiteure im dunkeln stecken. Sie sind im Abzug begriffen, wollen aber mit einer reduzierten Streitmacht Präsenz bewahren, so daß ihre zukünftige Schlagkraft offenbleibt. Sie haben auf lokaler Ebene einige Ad-hoc- Strukturen entstehen lassen, diesen aber nicht die Kompetenzen gegeben, die eine Machtübergabe erlauben würden. Sie haben die somalischen Warlords nicht als Politiker anerkannt, mit denen eine Verhandlungslösung auszuarbeiten wäre, sondern als Banditenführer, die sich Ultimaten beugen sollen; gleichzeitig haben sie sich aber bemüht, durch die Vermittlung öffentlicher Versöhnungen zwischen diesen Führern den Eindruck politischen Fortschritts zu erwecken. Sie haben taktieren müssen, um Äquidistanz zwischen den Fraktionen zu bewahren, aber gleichzeitig die Planung der politischen Prozesse einer diskreditierten UNO überlassen, der sie die Operation sogar noch schneller übergeben wollten, als diese selbst will.

Für sich allein genommen, wäre diese Liste von Halbherzigkeiten noch keine Liste des Scheiterns. Die Vorzüge taktischen Handelns oder die Notwendigkeit einer langfristigen Perspektive könnten als Erklärungen für die Wechselfälle der US-Politik dienen und begründen, daß der Erfolg nicht ausgeblieben ist, sondern erst noch erarbeitet werden muß.

Für die USA gilt alles als Erfolg

Doch die US-Verantwortlichen argumentieren ganz anders. Seit dem Amtsantritt Clintons haben sie keine Gelegenheit ausgelassen, um die Erfüllung ihrer Mission zu konstatieren. Ruhe in Mogadischu wurde als US-Erfolg dargestellt, mit dem Argument, nun seien ja die Banden neutralisiert; daß nun die Ruhe vorbei ist, ist für einige US-Sprecher ebenfalls ein Erfolgsbeweis, da die Warlords jetzt geschlagen aufheulen würden. Es spricht aber einiges dafür, daß die somalischen Kriegsherren sich anfangs aus taktischen Gründen zurückhielten, um jetzt ihr altes Spiel ungestört wiederaufzunehmen.

Daß sich US-Soldaten auf Patrouille im Laufe der Wochen immer stärker bedroht fühlten; daß der anfangs offene Kontakt mit Somalis immer mehr von Mißtrauen auf beiden Seiten überlagert wurde; daß nach einer Pause der Zyklus von Plünderungen und Wiederverkaufsaktionen weitergehen konnte – all dies ist nicht zum Gegenstand ehrlicher Analyse gemacht worden.

Enttäuschte somalische Erwartungshaltung

Der massive ausländische Truppeneinmarsch hatte in Somalia vor allem hohe Erwartungen zur Folge. Wer so viele Soldaten in ein fernes Land schicke, so die berechtigte Annahme, würde schon wissen, was er damit bezwecke. Das unüblich eifrige ausländische Engagement galt als Beleg dafür, daß die somalische Krise jetzt international diskutiert und einer Lösung entgegengeführt würde. Diese Hoffnung hat sich mittlerweile in Luft aufgelöst. Eine enttäuschte Erwartungshaltung ist aber die denkbar schlechteste Voraussetzung für einen Wiederaufbau mit internationaler Hilfe.

Die Sieger dieser verfahrenen Situation stehen fest. Es sind diejenigen somalischen Politiker, die ihre Macht auf den Bürgerkrieg stützen und die Teilnahme an der internationalen Diplomatie als zusätzliche Legitimation suchen. Es sind diejenigen somalischen Kriegsherren, die nach dem Sturz Siad Barres Anfang 1991 Somalia vollends in den Ruin trieben – jene, deren Herrschaft über das Land eigentlich mit der Intervention gebrochen werden sollte. Dominic Johnson

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