■ Die Tücken der Künstler: Ein Fest für Robert Gernhardt und 400 zahlende Verehrer: 60. Geburtstag, verdichtet vorgefeiert
Können Sie sich vorstellen, wie einem Berichterstatter, dem Dichterlesungen wegen ihrer albernen Idolatrie ein Greuel sind, zumute ist, wenn ein von ihm geschätzter Dichter seinen 60. Geburtstag statt im Kreise guter Freunde, alter Weggefährten oder schöner Frauen vor und vorgeblich mit über 400 zahlenden Verehrern seiner Kunst feiert, vielmehr vorfeiert?
Im Kino gar vorfeiert, wo das Publikum immer an den falschen Stellen lacht, bei den komischen aber maulfaul mit Tüten raschelt und Bierflaschen umkippt, die dann minutenlang laut knirschend wie eine Wackenwalze über den Fußboden rollen? Wenn der Verleger des Dichters vor dessen riesigem Gesicht auf der Kinoleinwand eine professorale Laudatio hält, wo doch der Berichterstatter davon überzeugt ist, daß der Dichter professorale Reden allenfalls ihrer katachrestischen Komik willen schätzt? Wenn der Verleger bereits im zweiten Satz zum ersten, bei weitem aber nicht zum letzten Mal das akademische Losungswort „gleichsam“ plaziert, um sodann keck einen Bogen von Baudelaire über Benn zu seinem Dichter zu spannen, ohne sich die Belehrung seiner und des Dichters Geburtstagsgäste über die korrekte Aussprache des Namen Baudelaire zu verkneifen? Und wenn er dann die fünfzigste Ausgabe des Periodikums seines Verlages, die er seinem Dichter gewidmet hat, der vermeintlich literaturbegeisterten Zuhörerschaft vorstellt – was angesichts der Bedeutung des Dichters eine angemessene Geste ist, der vorgeblichen Geburtstagsfeier aber das Flair eines Promotionsevents verleiht?
Können Sie sich vorstellen, wie dem Verehrer des Dichters zumute ist, wenn ein Kulturmäzen mit einer poetologischen Eloge mehr seine eigenen Geistesblitze als den Dichter preist, wenn er zum Beispiel den Dichter dafür lobt, daß dieser dem Dissonanten Konsonanz verleihe? Wenn aber das Publikum nur dann lacht, wenn der Redner die berühmten Stellen aus dem Werk des Dichters zitiert, weil es ja wegen der Gedichte des Dichters gekommen ist (womit es immerhin in seiner taktlosen Einfalt altmodisch dialektisch der gerechten Sache der Laudationeskritik dient)?
Sicher können Sie sich vorstellen, wie dem Verehrer des Dichters zumute ist, wenn Sie schon einmal einer Dichterlesung, einer Filmpremiere oder einem runden Professorengeburtstag beigewohnt haben. Doch können Sie sich auch vorstellen, wie dem Verehrer des Dichters zumute ist, wenn dieser, der Dichter, schließlich und endlich zwischen kondolenzkompatiblen Blumengebinden Platz nimmt, um einige seiner neuesten Werke zu lesen, diese bei dem Publikum aber mangels Wiedererkennungswert kaum Reaktion hervorrufen, während jenes, das Publikum, allein bei der Erwähnung der Herren Urbi und Orbi, die der Dichter und seine Kumpane in den 60er Jahren ersannen, pubertär zu prusten und zu lärmen beginnt?
Die Geburtstagsfeier für Robert Gernhardt, der am 13. Dezember 60 Jahre alt wird, am vergangenen Dienstag im Hamburger Abaton-Kino war zum Glück ganz anders. Vielmehr, eigentlich schon genauso, aber es gab auch noch Anderes, Versöhnliches, Tröstliches gar: die launige Ansprache Harry Rowohlts, der kauzige Eine- Mark-Budget-Film vom Milchkännchen und dem Fischstäbchen im Schneesturm, der vor über 30 Jahren in des Jubilars Küche gedreht worden war, und der Herr Gernhardt selbst, auch wenn dieser schwer mit seiner Prominenz kokettierte und sagte: „Manchmal habe ich das Gefühl, niemand liebt mich.“ Davon ist natürlich nichts wahr, glücklicherweise. Der Dichter Gernhardt selbst war es ja, der in seinem Roman „Ich Ich Ich“ den Schriftsteller die Wahrheit über die Liebe der Künstler zu sich selbst dem Kommissar anvertrauen ließ: „Ich sprach von der Tücke der Künstler überhaupt. Von ihrem unstillbaren Drang, geliebt zu werden, und ihren raffinierten Strategien, dieses Ziel zu verschleiern, um es auf äußerst kalkulierten, scheinbaren Umwegen sicherer zu erreichen.“ Gemeint ist, wer an seinem Geburtstag keinen ausgibt. Joachim Frisch
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