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■ Die Truppen der bosnischen Regierung in der OffensiveNur geschaffene Tatsachen zählen

Wer erinnert sich heute noch an London 1992? Militärisch geschaffene Tatsachen, so gelobten damals die Herren Diplomaten von UNO und EG auf der großen Jugoslawien-Konferenz feierlich, würden nie und nimmer akzeptiert werden. Bosnien-Herzegowina, so waren sich Friedensvermittler, Unterhändler und Sonderbeauftragte alle einig, müsse in seinen international anerkannten Grenzen erhalten bleiben. Das ist alles erst zwei Jahre her und scheint doch Urzeiten zurückzuliegen. Schon damals hatten die bosnischen Serben an die 70 Prozent der Republik besetzt, fast die gleichen 70 Prozent wie heute.

Seither hat die UNO zwar eine stattliche Anzahl scharfer Resolutionen gefaßt und sogar die Nato ins Land geholt, doch faktisch hat sie der serbischen Seite Zug um Zug Zugeständnisse gemacht. Während die Regierung in Sarajevo noch an einem multikulturellen, multireligiösen und multinationalen Staat festhielt, zeichneten die internationalen Diplomaten am Reißbrett Karte um Karte, wie die Republik in nach ethnischen Kritierien bestimmte Kantone aufzuteilen sei. Vor Ort zeichneten die Kriegsherren nach – mit Granaten und Panzern. Zwar richtete die UNO in Bihać, Sarajevo, Goražde und andern Städten, wo die Zivilbevölkerung je nach dem Gusto der Belagerer von jeglicher Versorgung abgeschnitten und erbarmungslosem Artilleriebombardement ausgeliefert war, Sicherheitszonen ein. Doch verzichtete sie unter dem Druck des orthodoxen Lagers, das von Pale über Belgrad mitunter bis nach Moskau reicht, und um des lieben Friedens willen in aller Regel darauf, in diesen Zonen auch für Sicherheit zu sorgen ..., und verspielte damit nur weiteren Kredit.

Nachdem auch der jüngste Friedensplan von den bosnischen Serben abgelehnt wurde, unterbreitete der UNO-Oberkommandierende Rose schon bald ein nächstes Angebot: die Erlaubnis zum Zusammenschluß der serbisch besetzten Gebiete Bosniens und Serbiens. Es wäre das förmliche Ende der unabhängigen Republik Bosnien-Herzegowina. Am Wochenende teilten die Friedensapostel Owen und Stoltenberg nun mit, zwischen den Außenministern Serbiens und Kroatiens seien regelmäßige Treffen vereinbart worden, und schon am Donnerstag hatte die Zagreber Regierung mit den Behörden der Krajina, der serbisch besetzten Gebiete Kroatiens, verhandelt.

Wer kann es in dieser Situation der bosnischen Regierung in dem seit über drei Jahren belagerten Sarajevo verdenken, daß sie gegen UNO-Beschlüsse verstößt und nun auf die kriegerische Karte setzt? Wenn ihre jüngsten militärischen Erfolge bei Bihać tatsächlich eine Wende einleiten sollten, muß sich die UNO schon bald überlegen, ob sie eine Teilung der Republik notfalls auch gegen die bosnische Armee durchzusetzen gewillt ist. Dann drohen Nato-Schläge auch gegen Izetbegovićs Truppen. Als weitere Option könnte die UNO eine offensive Versorgung der bosnischen Serben durch Milošević wieder tolerieren, zumal die USA mit der Aufhebung des Waffenembargos liebäugeln. In jedem Fall zeigt sich schon jetzt: In Bosnien entscheiden letztlich allein militärisch geschaffene Tatsachen. Daß dem so ist, hat sich die UNO selbst zuzuschreiben. Thomas Schmid

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