Die Tanzrunden jetzt mit preußischer Pünktlichkeit: Ein Grund weniger zu trinken
Durch die Nacht
von
Andreas Hartmann
Es ist oft genug passiert, dass ich in einem Berliner Club unbedingt einen bestimmten DJ sehen wollte, der dann aber erst um acht Uhr morgens auftreten sollte, das Speed langsam alle wurde und ich mich wieder von dannen trollte. Ohne den tollen DJ gesehen zu haben, dafür aber viel zu viele mittelmäßige DJs. Als Clubgänger, der sich auch mal tatsächlich wegen eines persönlichen Helden wie Moodyman oder Kevin Saunderson ins Nachtleben warf, anstatt einfach nur tanzen zu wollen, egal wer da gerade auflegte, hatte ich es bis vor ein paar Jahren nicht leicht.
Ich weiß nicht genau, wann sich das geändert hat, und es war bestimmt ein schleichender Prozess, aber inzwischen bekomme ich in immer mehr Berliner Clubs eine „Running Order“ für die Partynächte zu sehen, an die sich dann auch meist mit preußischer Pünktlichkeit gehalten wird. Jetzt kann ich mir also gut überlegen, ob ich mir den Wecker stellen soll oder es lieber gleich ganz sein lassen sollte. Führend bei diesen präzisen Running Orders ist das Berghain, auf dessen Homepage inzwischen bei jedem Event, egal ob Konzert oder DJ-Auftritt, genau angezeigt wird, wann er beginnt. Bestimmt hat dieser Service auch etwas damit zu tun, dass das Berghain so unterstreichen will, wie sehr es ihm um den einzelnen DJ und dessen künstlerischen Ausdruck geht und nicht bloß um die Party als Ganzes. Ein Umstand, der nach einem viel diskutierten Gerichtsurteil neulich dazu geführt hat, dass das Berghain im Sinne des deutschen Rechts ein Ort für Kultur und nicht für Unterhaltung ist und deswegen weniger Steuern zahlen muss.
Aber auch im Konzertbetrieb jenseits des Berghains gibt es einen neuen Umgang mit der Zeit. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es früher war, als wir andauernd in den Festsaal Kreuzberg oder in das West Germany gerannt sind. Egal was: Einlass um 20 Uhr, Beginn 21 Uhr erfuhr man stets als Angaben von den Veranstaltern, wenn überhaupt. Um 22.30 Uhr sind wir dann hin und eine Stunde später tat sich dann oftmals immer noch nichts auf der Bühne. Das Warten war jedoch unser Ritual, steigerte die Vorfreude, und manchmal passierten hier interessantere Dinge als später auf der Bühne.
Eigentlich ging es sogar schon Tage vor dem Konzert los: Wir telefonierten viel rum, diskutierten, wann wir uns endlich von der Couch erheben sollten, um nicht zu früh da zu sein, was uncool und unwissend wirken könnte und ähnlich peinlich, wie als erster Gast auf einer Geburtstagsparty aufzulaufen. Zu spät wollten wir aber auch nicht kommen, was dann aber natürlich oft genug passierte.
Jetzt aber beginnen Konzerte außer vielleicht in irgendwelchen Neuköllner Spezialläden pünktlich, halten sich DJs genau an die öffentlich gemachten Taktungen, alles funktioniert reibungslos, und kein Mensch betrinkt sich mehr vor einer Show sinnlos, weil er nicht weiß, was er Besseres mit seiner Wartezeit anstellen soll. Ich weiß noch, wie ich mal beim Ausharren vor dem Konzert mit dieser tollen Frau ins Gespräch kam und wir dann gemeinsam abzogen, bevor die Band die Bühne betrat. Das würde mir heute nicht mehr passieren.
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