Die Suche nach der großen Welle

Windsurfen hatte seine große Zeit vor 15 Jahren, dann begann die Krise der Mutter aller Trendsportarten. Und die Szene sucht sich ihren Ausgleichssport. Als Ersatz dient Wellenreiten. Vier norddeutsche Windsurfer fahren im Feuerwehrbus nach Irland

In der Sligo Bay schlägt das Herz des irischen Funsports, hier hat der Surf-Verband seinen SitzTeuer, aufwändig, windanfällig – die Trendsportart der 80erkrankt an sich selbst

von JAN FREITAG

So war das nicht geplant. Matze hockt im Bus und sieht schmollend noch jünger aus als ohnehin mit seinen dunklen Locken. In der vierten Klasse hat ihn sein Vater auf jenes Brett gestellt, das längst sein Leben bedeutet. Und nun, mit 28, darf er nicht, was er unbedingt will, was ihn treibt wie eine Drogensucht: Surfen. In seiner Sprache klingt es so: „Wir haben eine 8-Beaufort-Ansage für Samstag und statt die zu catchen checken wir einen Spot mit fünf und die sind auch noch sketchy.“ Frei übersetzt heißt das, die traumhafte Bucht an der irischen Westküste verheißt den vier Surfern aus Norddeutschland stürmische Bedingungen. Doch die anderen wollen partout an einen Ort, wo es schon jetzt wehen soll. Die Betonung liegt auf soll, denn abgesehen vom Skispringen hängt keine Sportart so am Konjunktiv wie das Surfen.

Vorm Küstendorf Easky bersten an diesem kalten Tag Wellen, die irgendwo weiter nördlich durch arktische Unwetter entstanden sind. Deshalb sind Matze, Olaf, Christian und Sören hier. Und wegen der Stürme. In der Sligo Bay schlägt das Herz des irischen Funsports, hier hat der nationale Surf-Verband seinen Sitz, hier, hieß es tags zuvor im Surfshop, sei Bombenwetter so sicher wie das Guinness am Abend. Hier also blickt Matze genervt aufs Wasser. „Guck mal, wie das hackt“, sagt er und vor ihm tost es. Breite Wellen brechen in geraden Linien am Strand. Prachtexemplare im Set, eine nach der anderen. Und das bei Windstille. Was für Laien paradox klingt, nennen Kenner Swell – Wogen wie aus dem Nichts, fantastisch zum Reiten, Gift für jede Art von Segel.

Schade, dass das Quartett zum Windsurfen nach Irland gefahren ist. Von Rostock über Cuxhaven ins englische Harwich Richtung Wales, per Fähre nach Irland und Zielschuss zur Atlantikküste. Siebzig Stunden Anfahrt. Genau genommen hat sie sogar in Bayern begonnen, wo Sören, der Organisator, kurz zuvor das Reisegefährt gekauft hat – einen Feuerwehrtransporter, sechs Meter lang, knallrot, Platz für fünf. Mit etwas gutem Willen.

Surfer sind Ungemach gewohnt, besonders deutsche. Schließlich sind ihre Heimreviere meteorologische Spielbanken: Keine Garantien wie vor Südafrika oder Hawaii, kein Potenzial wie Irland. Die Ostsee ist windig, aber glatt, die bewegte Nordsee für vier Berufstätige um die 30 zu weit für Kurztrips. Dann lieber zwei Wochen Highendsurfen als zwei Tage Monobrise. Das heißt reisen.

In die zerklüftete Donegal Bay etwa. Dorthin, wo Einheimische nach dem Büro aufs Wasser gehen, raus aus dem Blaumann, rein in den Neoprenanzug. In abgelegene Buchten, wo das Surfboard noch vor dem Fahrrad unterm Tannenbaum liegt. Vom deutschen Flachwasser an einen Ozean, über dem sich die Tiefdruckgebiete halten wie Schnee im Himalaya. Dazu der Golfstrom, der noch winters den Ozean mild temperiert – fertig ist das Surfmekka.

Sören ist Frühaufsteher. Die Luft hat ihn geweckt. Draußen ist es zu kalt, um nachts die Fenster zu öffnen. Er drängt zur Suche nach dem besten Spot, schon beim Frühstück auf dem Wagenboden geht es um nichts anderes. Der Fotograf aus Rostock ist der Mutter aller Funsportarten seit 1993, kaum 16 Jahre alt, verfallen. In Irland hat er eine weitere Mission: Eine Reportage für ein Fachblatt. Und in der Redaktion schert man sich nicht um hätte, wenn und aber. Action und tolle Sprünge, das zählt. Womit wir beim Problem wären.

Behäbig und laut hat der Diesel mit fünf Insassen, 13 Brettern samt Segeln, Masten, Proviant auf dem Dach und 30 Jahren auf dem Buckel 80 Meilen Landstraße geschafft, da frischt es auf. Sekunden später reißt das Quartett vom Wagen, was ihn für niedrige Brücken zu hoch macht. „Ich hab noch nie so schnell aufgeriggt“, lobt Olaf, mit 36 der Älteste, sein Tempo beim Segelsetzen. Keine halbe Stunde. Schnell, aber nicht schnell genug. Denn es dämmert wie im Bildband, als der Tischler mit seinem Surfbrett Marke Eigenbau startet. Die anderen sind schon draußen, Windstärke fünf ist ganz passabel, und Matze, der Halbprofi unter drei Könnern, macht daraus sogar ein paar magazintaugliche Sprünge. Doch zu langsam war auch er. Wer bei 4 Grad versucht, in 25 Minuten ein Ikea-Regal aufzubauen und nasses Gummizeug anzuziehen, erahnt die Widrigkeiten der Vorbereitungen zum Windsurf. Rasant für die Aufgabe, lahm im Vergleich zur Konkurrenz: Hätten sie ihre Wellenreiter vom Dach geholt, sie wären fast in Echtzeit auf dem Wasser gewesen.

Teuer, aufwändig, windanfällig – die Trendsportart der 80er, als das neue Segeln massentauglich wurde, krankt an sich selbst. Kitesurfen, sagt Windsurfprofi Bernd Flessner über die Abart mit Lenkdrachen, „lernt man in zwei Tagen und braucht kaum Wind“. Da habe es der Vorreiter, 1967 in Kalifornien erfunden, schwer. Von Rezessionen ganz zu schweigen. Selbst Robby Naish, die Legende, ist zum Kiter konvertiert, und während am Windsurfmarkt Flaute herrscht, hat Wellenreiten, dem deutsche Küsten eigentlich miese Bedingungen bieten, Flessners Job abgehängt. „Das hat mit Lifestyle zu tun.“

Auch für ortskundige Iren ist Spot gleichbedeutend mit Reiten. Windsurfing? Don’t no, maybe … Die Deutschen werden belächelt mit ihrem Windtick. Die Stimmung in der Feuerwehr sinkt. Zumindest manchmal, wenn bei der Suche Anwohner versichern, so kalt sei es sonst nur im Januar. Doch Surfer sind genügsam. Achtzehn Tage gemeinsam auf zehn Quadratmetern. Nachts in klammen Schlafsäcken. Umziehen im Regen, keine Duschen, abends Spaghetti.

„Es geht um die große Welle“, erklärt Christian. Big Wave, ein magisches Wort. Seit 14 Jahren surft er, die Hälfte seines Lebens, gefunden hat er sie nur in der Ferne. Masthoch, breit und kräftig. Doch wenn er sie findet, nur eine, hat sich alles gelohnt.

Laut Wetterkarte soll sie Samstag laufen. „Was für Isobaren“, jubelt der sonst stille Olaf im Internetcafé und zeigt den Ausdruck. Je enger die Luftdrucklinien, desto mehr bläst es. Über Irland sind sie dicht wie auf einer LP, und dann macht auch noch die Nachricht vom Windsurfcontest im Westen die Runde. Er wird ausfallen, weil sich Meteorologen eben irren. Die Big Wave lässt auf sich warten. Doch dafür, meint Christian, der Mecklenburger, „gibt’s neben fetter Beute ja noch Beifang“. Irlands Natur etwa. Rau, gediegen. Oder die Bewohner. Wie in jenem Dorf, wo einer der Touristen beim Fragen nach dem Weg zum Tee gebeten wird. Und Kultur. Pubs zum Beispiel, wo selbst Fremde wie diese nicht stören: Matze Bade, der laufende Surfdresscode. Olaf Barth, Zweimetermann aus Hamburg, der fürs Surfen im Lkw lebt. Sören Klement, bärtiger Sunnyboy mit eigenem Zirkuswagen. Und Christian Tesche, ein Freak mit dicken Locken, der ständig Steine für Kunstwerke sammelt.

Eigentlich stören die Findlinge im Wagen, doch nach dem Reinfall vom Wochenende kriegen sie nach der Fahrt zur Südküste plötzlich einen Sinn: Als Ballast. Eigenartig – was die meisten abschreckt, zieht Surfer an: Orkanböen im Raum Cork, „Land unter“ inklusive. Und das weit östlich von Dingle, Irlands Surf-Eldorado. Am Galley Head dagegen rollt sie tatsächlich, die Big Wave.

Beinharte Bedingungen, ein Mastbruch, Surfen bis zur Erschöpfung, im Pub werden weitere Leistungsgrenzen ausgelotet. Ein Tag statt zehn, aber immerhin. „Windsurfer kommen nie zur Ruhe“, philosophiert Sören beim Guinness. Immer gehetzt, stets auf der Suche. Auch nach Beifang.