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Archiv-Artikel

betr.: deutschland Die Stunde des Fußball-Patrioten

Auf Anordnung von oben sollen wir jetzt auch stolz sein wie Bolle auf unser Land und unsere Burschen, so wie die anderen

Der Planet Fußball wird seit kurzem von einer merkwürdigen Spezies bevölkert. Gemeint ist der Patriot. Es liegt in der Natur des Patrioten, seine Gesinnung publik zu machen. Er bekennt Flagge, posaunt herum und kleidet sich in deutschen Farben.

In München, wo die WM gestern anfing, ist manche Wohnung mit bis zu fünf Fahnen bestückt, sogar im bürgerlichen Schwabing. Eine derartige Behübschung kennt man nur aus den Tagen der DDR-Mai-Umzüge. Fünf Flaggen, das kann nur heißen: Hier wohnt ein positiver Patriot, sehr zur Freude von Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff, der sich an die Spitze der Positivpatrioten gesetzt hat und die Flaggenfreunde ins Fußballwunderland führt. Ginge es nach ihm, würde das dreifarbige Bekenntnis zur obersten Bürgerpflicht erhoben und das Singen der Nationalhymne zum allmorgendlichen Vergnügen, zum Frühsport einer bekickten Nation.

Doch es muss nicht immer eine Fahne sein. Im Englischen Garten sieht man Mädchen auf dem Rasen sitzen, die nicht nur ihr Tangadreieck zur Schau stellen, sondern auch einen Gürtel in Schwarz-Rot-Gold. Andere schlecken an einem Eis in deutschen Farben. Unweit fährt ein beflaggter Golf vorbei, definitiv keine Karosse aus dem Diplomatischen Corps.

Ist die Stunde der Fußball-Patrioten gekommen? Was bedeutet die Beflaggung nach amerikanischem Muster? Zunächst einmal bedeutet es, dass die Patrioten die Stimme des WM-Organisationskomitees vernommen haben. Und die von DFB-Manager Bierhoff. Der sagte kürzlich: „Ich fordere keine Kritiklosigkeit. Aber ich hoffe auch bei diesen Personen auf einen positiven Patriotismus.“

Gemeint waren die Fußball-Dissidenten Günter Netzer und Paul Breitner. Gemeint waren aber auch die eingefleischten Skeptiker und Verfassungspatrioten, die Kritiker des Ticketsystems und die Stadionprüfer von der Stiftung Warentest, gemeint waren alle Bürger, die noch nicht Mitglied im offiziellen „Fanclub Nationalmannschaft“ sind, all jene, die lieber in den Urlaub fahren, als WM zu gucken, oder die trotzdem fahren – und natürlich die Schar derer, die nur das reine Spiel lieben.

Der Fußball-Patriotismus wird in schöner landestypischer Manier verordnet. Er ist gewollt, letztlich ein Marketingschmäh. Jetzt, wo die Welt zu Gast bei Freunden ist, wollen wir denen doch mal zeigen, was eine deutsche Flagge ist!

Jawoll, stolz wie Bolle sind wir auf unser Land und unsere Burschen, echt stolz, genauso wie ihr Franzosen, Amis, Brasilianer und praktisch alle anderen.

Da können wir mithalten. Oder doch nicht? Der deutsche Fußball-Patriotismus ist eine Sache des Kopfes. Bis er im Bauch ankommt, werden Schweini & Poldi noch viele Tore schießen und einige Frisuren ausprobieren müssen. MARKUS VÖLKER