■ Die Statt Partei hielt ihre erste Bundesversammlung ab: Kurzer Höhenflug
Noch im Herbst, nach ihrem überraschenden Erfolg in Hamburg, schien es, als werde die Statt Partei den Etablierten bald auch bundesweit Konkurrenz machen. Doch trotz der medienwirksamen Unterstützung Henning Voscheraus, der die Neuen aus der Hamburger Bürgerschaft zielstrebig in die Koalition holte, ist die „Sechste Partei“ ein halbes Jahr später schon wieder auf das Maß einer politischen Randerscheinung reduziert. Schneller als erwartet fällt die Anti-Parteien-Rebellion der Gefahr anheim, die Protestorganisationen von jeher droht: moralische Überheblichkeit, krasses Mißverhältnis zwischen Ambition und Substanz, Nörgelei als Politikersatz. Als Beginn einer ernstzunehmenden politischen Alternative jedenfalls wird sich die Kasseler Veranstaltung vom Wochenende schwerlich verkaufen lassen.
Dabei ist der bundespolitische Fehlstart der Statt Partei kaum allein durch eigene Schwäche verursacht, ebensowenig wie seinerzeit der Hamburger Paukenschlag durch politische Potenz. Es war die gesellschaftliche Stimmung, die der Anti-Parteien-Formation in Hamburg über die Fünfprozenthürde half, und es ist die veränderte Atmosphäre zu Beginn des Wahljahres, die jetzt die schnelle Marginalisierung bewirkt. Denn spätestens seit der Wahl in Niedersachsen, wo die Wahlbeteiligung Standardwerte erreichte und die etablierten Volksparteien schon fast wieder gewohnte Zustimmung verbuchen konnten, kursiert die neue Parole: Auszeit für den Politikverdruß. Wie immer man den abrupten Wechsel der politischen Konjunktur beurteilen mag, für die Statt Partei, die allein vom schlechten Ruf der Konkurrenz profitiert, gilt: Der Resonanzboden auf dem sie ihren fulminanten Anfangserfolg feierte, schwingt nicht mehr. Wo die Schelte der Etablierten nicht mehr per se Zustimmung garantiert, stehen die Newcomer nun unerwartet vor dem Problem, ihre Kritik an der Insuffizienz der andern mit eigenen Ideen für den Politikwechsel zu unterfüttern. Doch in dieser Hinsicht hat die Statt Partei bislang kaum mehr zu bieten als die Forderung nach „filzloser Politik“ und Bürgerbeteiligung.
Das wird kaum reichen. Der Alptraum der bürgerlichen Parteien, der sich in Hamburg so spektakulär angekündigt hat, ist erst einmal wieder verflogen. Doch die Statt-Idee ist, wie die Parteienfrustration, damit kaum schon am Ende. Eher leidet sie unter einer überraschenden Konjunkturschwäche und der gesellschaftlichen Bereitschaft, die Krisenbewältigung noch einmal den etablierten Parteien zuzutrauen. Von ihrer Reformfähigkeit wird es abhängen, ob die Statt-Chance schon endgültig verspielt hat. Matthias Geis
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