■ Die Schweizer votierten für ein Antirassismus-Gesetz: Elende Käsekocher!
Für den helvetischen Außenminister Flavio Cotti war die Sache geklärt. „Die Schweiz ist kein Land von Rassisten“, stellte er erleichtert fest. 55 Prozent der Eidgenossen hatten dem Antirassismus-Gesetz, das rassistische Propaganda und die Leugnung des Holocausts verbietet, zugestimmt. Ja, und wie ist es denn mit dem Umkehrschluß? Gibt es in der Schweiz 45 Prozent Rassisten? Und wäre ein Land mit 45 Prozent Mördern nicht ein Land von Mördern? In Wirklichkeit sagt das Votum vom Wochenende nur sehr beschränkt etwas über den Rassismus in der Alpenrepublik aus. Man kann mit guten Gründen annehmen, daß viele latente Rassisten schon allein deshalb dem Gesetz zustimmten, weil es ja von allen großen Parteien, Kirchen und Verbänden unterstützt wurde. Gewöhnliches Mitläufertum also. Und vieles spricht dafür, daß ein großer Teil der Neinsager das Gesetz aus ganz andern als rassistischen Gründen ablehnte.
Sicher gibt es in der Schweiz einen weitverbreiteten latenten Rassismus. Dies festzustellen bedarf es weder einer Volksabstimmung noch empirischer Sozialforschung, einige Kneipengänge zu Stammtischgesprächen genügen. Es gibt zudem einen engbegrenzten manifesten Rassismus, der für Überfälle auf Asylbewerberheime verantwortlich ist. Und es gibt einen offiziellen Rassismus, der sich in Paragraphen, in der Ausstattung von Asylunterkünften und in der staatlichen Behandlung fremder Menschen niederschlägt. In all dem unterscheidet sich die Schweiz nicht grundsätzlich von Deutschland, Frankreich oder Großbritannien.
Der Unterschied zwischen den Schweizern und ihren europäischen Nachbarn, so könnte man es zugespitzt formulieren, besteht darin, daß die Schweizer zu einem großen Teil noch nicht gemerkt haben, daß sie so unterschiedlich von ihren Nachbarn nicht sind. Und genau dies drückt sich auch im Abstimmungsresultat aus. Nicht nur Rassisten, nicht nur Protestwähler, die gegen die jahrzehntealte Regierungskoalition aller großen Parteien von rechts bis links votierten, sind für die etwas peinlichen 45 Prozent verantwortlich. Viele Eidgenossen sehen offenbar ihr sorgsam gehütetes Weltbild vom „Sonderfall Schweiz“ bedroht. Die Gegner des Gesetzes sind weithin erfolgreich mit dem bösen Wort vom „UNO-Maulkorb“ hausieren gegangen. Eine Änderung des helvetischen Strafrechts ist nämlich Voraussetzung dafür, daß die Schweiz als 138. Staat die Konvention der Vereinten Nationen gegen rassistische Diskriminierung aus dem Jahre 1965 unterschreiben kann.
Und da gehen bei manchen Schweizern – mehr auf dem Land als in der Stadt, mehr in der deutschen Schweiz als in den traditionell weltoffeneren französischsprachigen Landesteilen, wie die Resultate vom Wochenende zeigen – die Warnlampen an. 1986 hatte eine Mehrheit der Eidgenossen einen Beitritt ihres Landes zur UNO abgelehnt, 1992 sprach sich die gleiche Mehrheit gegen einen von Parlament und Regierung gewünschten Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum aus, und in diesem Sommer erteilte das Schweizer Volk den Herren in Bern eine weitere Abfuhr und widersetzte sich einer Beteiligung an friedenserhaltenden Einsätzen der UNO. Jedesmal wähnte ein Großteil der Schweizer die Neutralität ihres Landes in Gefahr.
Dieser Neutralität aber, 1815 auf dem Wiener Kongreß von der heiligen Allianz der europäischen Großmächte den Eidgenossen offiziell und „immerwährend“ zugestanden, glauben die meisten Schweizer zu verdanken, daß ihr Land von zwei Weltkriegen verschont blieb. Die Neutralität, schon immer löchrig wie ein Schweizer Käse, nach dem Ende des Kalten Krieges obsolet, war vielleicht der wichtigste Baustein bei der Herausbildung einer Schweizer Identität. Daher auch die Empfindlichkeiten. Außenminister Cotti wußte um sie und versicherte seinen Landsleuten, das Gesetz werde nur in absoluten Ausnahmefällen angewendet, und im übrigen gelte es selbstverständlich auch im umgekehrten Sinne. Ausländer, aufgepaßt! Ab heute macht sich strafbar, wer – Stammtischgespräche ausgenommen – die Schweizer „elende Käsekocher“ schimpft. Thomas Schmid
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