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■ Die Schweizer lehnten einen Beitritt zum EWR abDialog der tauben Herrscher

Die Schweizer StimmbürgerInnen wollen frei bleiben. Nach monatelangem Hin und Her um die Vorzüge und Nachteile des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) haben die EidgenossInnen nun entschieden: Sie erteilten dem Europagedanken per Volksabstimmung eine Abfuhr. Dabei ist, wie von vielen vorausgesehen, der innerschweizer Föderalismus zum größten Stolperstein geworden. Vor allem die kleinen, ländlichen Kantone der Deutschschweiz brachten den EWR-Beitritt zu Fall. Sie wollen nach 700jähriger Eigenständigkeit lieber weiter im Alleingang gestalten, als sich von den Brüsseler Eurokraten regieren lassen.

Quer durch das Land und quer durch alle politischen Lager war der Doppeldiskurs um den Europäischen Währungsraum und die Schweizer Identität in Europa verlaufen. Und entgegen allen Beschwichtigungsversuchen hing die EWR-Vorlage eng mit der Frage eines EG-Beitritts zusammen, für den der Bundesrat, die Schweizer Regierung, bereits ein Gesuch in der Schublade liegen hatte. Für die EWR-Gegner standen vor allem die auch ohne EG erfolgreiche Wirtschaft, die sakrosankte direkte Demokratie, der Sprach- und Arbeitsfrieden auf dem Spiel. All dies, so argumentierten sie, dürfe nicht durch die EWR-Gesetzgebung mit all den Liberalisierungs- und Freizügigkeitsparagraphen beschnitten werden. Allein 60 Gesetze hätte der Bundesrat anpassen müssen – und das ohne vorhergehendes Bürgervotum.

Der „Wille zur Erhaltung und Bewahrung“ der Alpenrepublik, von den EWR-Gegnern ohne viel Federlesen für sich vereinnahmt, hat über ein Europa der Illusionen gesiegt. Der Europäische Wirtschaftsraum wird, entgegen den vollmundigen Prophezeihungen, längst nicht für alle ein Schlaraffenland abgeben. Die Schweiz jedenfalls hat wieder einmal unter Beweis gestellt, daß sie, wie es der Historiker Herbert Lüthy einmal formuliert hat, die Antithese bleibt. Die Abstimmungsniederlage der Berner Regierung spiegelt aber nicht nur die Stimmunglage am schweizerischen Eurobarometer wider, sie dürfte auch eine meßbare Wirkung Richtung Europa nach sich ziehen. Die Menschen, egal in welchem europäischen Staat sie leben, scheinen genug zu haben von all den Verheißungen, Verdrehungen, unbeweisbaren Behauptungen, durchsichtigen Manövern und Anpöbeleien, mit denen die politischen Klassen sie ins vereinte Europa treiben wollen. Wie viele solcher Signale braucht es eigentlich noch, um die europavernarrten Staats- und Regierungschefs samt ihrer Eurokraten auf einige Widersprüche aufmerksam zu machen und den Dialog der tauben Herrscher aufzugeben? Erwin Single

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