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■ Die Ost-Mafia dehnt sich ausTummelplatz Berlin

Die in immer kürzeren Zeitabständen erfolgenden Morde und grauenhaften Gewalttaten, bei denen die Polizei immer häufiger auf Täter und Gangs aus dem Osten stößt, bestätigen im Grunde nur, was Experten bereits seit Jahren voraussagen. Getreu dem auch mafiosen Gruppen innewohnenden kapitalistischen Gesetz der zwangsweisen Ausweitung und Differenzierung der Geschäfte – ohne die man nicht lange konkurrenzfähig bliebe –, dehnen sich die Ost-Clans dorthin aus, wo sie mit ihren Mitteln abzocken können. Und das ist fast überall, im Westen aber besonders.

Die Berliner erleben in diesen Wochen die Konsequenzen eines radikalen Wandels der Bedeutung ihrer Stadt für die organisierten Gruppen. Bis Ende der achtziger Jahre war die geteilte Stadt bereits einer der am dichtesten besetzten Tummelplätze für Bosse und Dunkelmänner. Nirgendwo sonst auf der Welt konnte man auf so engem Raum so viele Leute aus allen Ländern treffen, Geschäfte anbahnen und – hurtig wieder verschwinden. Doch derlei beschränkte sich bis zum Mauerfall faktisch nur auf Verhandlungen für mehr oder weniger große Deals. Die Geschäfte selbst wurden anderswo abgewickelt. Denn auch das wußten die Kriminellen: daß es hier nur so von Spionen und Geheimen wimmelte.

Mit dem Fall der Mauer und dem Rückzug der Siegermächte samt ihren Schlapphüten hat sich die Lage geändert. Mehr und mehr wird Berlin nun auch zum Schauplatz der Abwicklung von Geschäften. Das zieht sich von der Schutzgelderpressung und dem Eindringen ins Rotlichtmilieu über die Autoverschieberei bis zum Handel mit Drogen, Kriegsgerät und atomwaffenfähigem Material. Bei den bisher im Westen festgestellten gut fünf Dutzend Ablegern russischer Mafiagruppen haben die Ermittler denn auch schon nahezu alles festgestellt, was im Osten Rang und Namen hat: die Tschetschenen (Erpressung, Auftragsfolter und -mord), die Inguschen (Schmuggel), die Solentsewo (Transportwesen), die Zingara (Diebstahl und Hehlerei), die jüdische Mafia (Vermittlungen und Geschäftseinschätzungen) – und die georgische, die angeblich vor all den anderen Mafias schützt.

Konsequenterweise wird auch die Gangart der Gruppen gegeneinander, aber auch gegen ihre Opfer härter, brutaler, kurzentschlossener. Die Mafiosi tasten das Terrain ab. Sie sehen zu, wieviel sie sich straflos erlauben können. Bedenkt man die hierzulande bis vor kurzem allenthalben herrschende Schlafmützigkeit und den wider besseres Wissen aufrechterhaltenen Widerstand gegen rechtzeitige Schutzmaßnahmen, so wird dieses blutige Spiel wohl weiter eskalieren. Werner Raith

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