■ Die Niederlande im Kampf gegen den ewigen Feind: Bis gestern hielten die Deiche im Land zwischen Maas und Waal. Vorsorglich evakuierten die Behörden aber schon mal 85.000 Menschen aus dem Poldergebiet in der...: Schweine und Rinder zuerst
Die Niederlande im Kampf gegen den ewigen Feind: Bis gestern hielten die Deiche im Land zwischen Maas und Waal. Vorsorglich evakuierten die Behörden aber schon mal 85.000 Menschen aus dem Poldergebiet in der Region um Nijmegen.
Schweine und Rinder zuerst
Ans Schuurmans muß nicht lange überlegen. „Bis unters Dach“ werde das Wasser steigen, sollte der Deich am Ende brechen. Ihr Haus am Sluisweg in der Ortschaft Moordhuizen ist eine jener fünf „Notunterkünfte“, die 1928 extra für die Opfer des Hochwassers von 1926 errichtet worden waren, als die Deiche der Maas brachen. Jetzt droht Gefahr von der anderen Seite. Weit weg, wie es scheint. Aber die Behörden der niederländischen Provinz Gelderland wollten nichts dem Zufall überlassen. Insgesamt 85.000 Menschen sollten bis gestern mittag aus dem tiefgelegenen Poldergebiet zwischen Waal, Maas und Rhein evakuiert werden. Wenn die Deiche in dieser Region dem Druck nicht standhalten sollten, würden die Gebiete nach wenigen Stunden bis zu fünf Meter unter Wasser stehen.
Moordhuizen ist der am tiefsten gelegene Flecken weit und breit. Ans Schuurmans und ihre Nachbarn haben an diesem Montag abend ihr Wichtigstes zusammengepackt, sie werden sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Wie sie am Tag davor Alte und Kinder zu Verwandten nach Nijmegen gebracht, Pferde, Rinder und Haustiere abtransportiert haben. Unermüdlich schleppen die Jüngeren Hausrat fort. Die beiden Alten Bets und Gradus Evers auf Nummer 18 macht die nahende Evakuierung schon ganz nervös. In ein paar Stunden werden sie von einem Sonderbus abgeholt. „Jetzt erst merken wir, wie abgelegen wir hier leben“, sagt Frau Evers. „Ohne Radio könnte man glatt das Gefühl bekommen, mutterseelenallein hier in der Polder zu hocken.“
Wenige Kilometer weiter im benachbarten Alphen macht Pfarrer Terken in aller Gemütsruhe Inventar. „Mal sehen, was wir hier so haben“, meint er lakonisch. „Der Heilige Lambertus, auch der Willibrordus hängen hoch genug, die brauchen nicht weg. Die Jungfrau Maria und das Herz Jesu nehme ich mit auf die Kanzel.“ Er hat die Ruhe weg, der Kirchenmann; zwei Tage lang hat er sich bemüht, die Panik in seiner Gemeinde unter Kontrolle zu bringen. „Ich hab' geredet und geredet, aber die Leute wollten nicht auf mich hören. Hier bestimmen höhere Mächte, was gespielt wird.“
Die Einwohner Alphens gehörten zu den ersten, die panikartig das Weite suchten. Sie wollten nicht warten, bis die Behörden ihre gut koordinierte Evakuierungsaktion starteten. Auch Landwirt Chris van Rossum hat nicht tatenlos zugesehen, bis der Massenexodus im Land zwischen Maas und Waal die Straßen verstopfte. Er fand schon in der Nacht zu Montag für seine gut zweihundert Schweine Unterschlupf bei einem Kollegen am anderen Maasufer. „Mir kam das Grausen bei der Vorstellung, im Evakuierungsstau könnte es zu einer Panik unter den Tieren kommen“, begründet er sein entschlossenes Vorgehen. Am Montag abend, die großangelegte Evakuierung Zehntausender Rinder und Schweine ist inzwischen angelaufen, verlädt van Rossum auch seine Milchkühe, um sie an einen höhergelegenen Ort zu bringen.
„Rinder und Schweine zuerst“ lautete zu Beginn der größten Evakuierungsaktion seit der Hochwasserkatastrophe von 1953 die Devise. Der Abtransport der insgesamt 100.000 Tiere der Region um Nijmegen sollte nach dem Willen des Krisenzentrums Vorrang haben und noch in der Nacht zu Dienstag abgeschlossen sein. Entsprechend nervös sind die Landwirte am Montag nachmittag dabei, ihre Viecher in Transporter zu verladen. Von nächsten Morgen acht Uhr an wollen die Behörden sich dann verstärkt um die Menschen kümmern.
„Wir rechnen damit, daß etwa 75 Prozent der Menschen freiwillig gehen“, sagt die Sprecherin des Krisenstabs in Nijmegen, Marij Delissen. Die übrigen sollten gestern von der Polizei besucht werden. „Es wird aber niemand aus dem Haus gejagt“, sagt sie. Wer sich weigere, müsse wissen, daß er sein Leben aufs Spiel setzt; das sei dann das Risiko jedes einzelnen, sagt Marij Delissen.
In den frühen Morgenstunden des Dienstag zieht sich dann eine lange Scheinwerferkette durch die Provinz Gelderland. Bis unter die Decke sind die Autos vollgestopft, eine Familie hat sogar ihr Klavier auf dem Autodach festgeschnallt. Zu Tausenden verlassen die Menschen mit ihrem Hab und Gut das „Land zwischen Maas und Waal“. Die Polizei hat das leergeräumte Gebiet abgeriegelt, damit keiner die leeren Höfe und Häuser plündern kann. De Gelderlander, Nijmegen
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