Die Nato und die rot-grüne Erotik der Macht

Die Haltung der Grünen zur Nato ist für eine Koalition mit der SPD immer noch ein Knackpunkt / Doch auf beiden Seiten zeichnen sich pragmatische Lösungen ab / In Bonn debattierten die zwei Diskutanten vom Wasserschloß, Karsten Voigt und Alfred Mechtersheimer  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

„Eine rot-grüne Koalition setzt eine grüne Partei voraus, die es auf Bundesebene noch nicht gibt. Ein Streit in der SPD über eine rot-grüne Koalition würde erst lohnen, nachdem die Grünen auf Bundesebene in entscheidenen Punkten ihre bisherige Politik zu revidieren bereit sind.“ So formulierte es der SPD-Außenpolitiker Karsten Voigt 1986 nach dem Hannoveraner Parteitag der Grünen. Die damals gefaßten Beschlüsse zum Austritt aus der Nato und zum Vorrang einseitiger Abrüstungsschritte gelten bei den Grünen nach wie vor. Dennoch fordern heute nur noch wenige Sozialdemokraten eine direkte Revision grüner Programmatik als Eintrittskarte für eine Koalition.

Die grüne Position zum westlichen Militärbündnis gilt trotzdem weiterhin als ein „Knackpunkt“ für Rot-Grün. Nicht zufällig war die Außen- und Sicherheitspolitik das Thema jener rot-grünen Kaminrunde in Schloß Crottorf. Doch erkennen die hellsichtigen unter den Sozialdemokraten mittlerweile, daß sich die Grünen trotz fundamentalistischer Programmaussagen realpolitisch entwickeln, und sie setzen auf diese Macht des Faktischen.

Zwischen grünen Realpolitikern und Sozialdemokraten haben sich längst Übereinstimmungen über die Grundzüge bundesdeutscher Außenpolitik ergeben. Die sind so weitgehend, „daß ein Beobachter gar nicht erkennen konnte, wer da eigentlich für welche Partei redet“, berichtet der Grüne Alfred Mechtersheimer über die Kaminrunde von Schloß Crottorf. Joschka Fischer mit „seiner Nato-Euphorie“ hätte man zum Beispiel eher am rechten Rand der SPD vermuten können. Dem Sozialdemokraten Karsten Voigt geht dieser Seitenwechsel jetzt bereits zu weit: Fischer sei einem „Status-quo-Denken“ verhaftet, kritisiert er nun.

Nach jahrelangem Streit haben sich bei den Grünen in den vergangenen Wochen drei Positionen zur Behandlung der Nato -Frage herausgeschält: RealpolitikerInnen wie die Vorstandssprecherin Ruth Hammerbacher fordern eine Änderung grüner Beschlüsse und bekennen sich konzeptionell zur Nato als abrüstungsfähigem „politischem Bündnis“: „Es ist nicht möglich, eine Abrüstungspolitik ohne Nato zu machen und ohne daß die Bundesrepublik in den Verdacht gerät, eine mitteleuropäische Dominanz anzustreben.“ Vertreter der „Aufbruch„-Strömung wie Ralf Fücks wollen derartige Grundsatzfragen als „Glaubensbekenntnisse“ außen vor lassen, da sie innerhalb einer Legislaturperiode ohnehin keine Rolle spielten. Statt dessen sollten sich die Grünen auf konkrete Abrüstungsforderungen konzentrieren, die „in den Konflikt mit der Nato führen“. Jürgen Reents vom „Linken Forum“ warnt vor einem grünen Kotau in der Nato-Frage, hält es aber für eine unrealistische Zielsetzung, zu glauben, Grüne könnten in einer Regierung die Finanzierung von Nato-Vorhaben verhindern.

Über diese drei Hauptströmungen hinaus, die mit unterschiedlichen Argumenten zu ähnlich pragmatischen Schlußfolgerungen kommen, melden sich nur vereinzelt völlig skeptische Stimmen wie die von Verena Krieger: Sie hält eine Konfliktstrategie gegen die Nato im Bündnis mit der SPD generell nicht für möglich.

Selbst wenn sich die Grünen, gierig auf die Macht in Bonn, im Sinne von Ralf Fücks darauf verständigen würden, Grundsatzfragen außen vor zu lassen, stünde ihnen eine Fülle von Konflikten ins Haus. Alfred Mechtersheimer, als Realpolitiker und gleichzeitig scharfer Nato-Opponent ein Wanderer zwischen grünen Welten, kam am Donnerstag abend mit einer ganzen Liste in die Berliner Landesvertretung in Bonn. Dort trafen sich die Crottorf-Diskutanten Voigt und Mechtersheimer noch einmal zur einer halböffentlichen „rot -grünen Rede“ vor einigen Bonner Journalisten.

Die Liste von Mechtersheimer könnte bereits als Grundlage für Koalitionsverhandlungen dienen. In 13 Punkten hat er „analoge Positionen“ zwischen SPD und Grünen ausgemacht: zum Beispiel Verzicht auf Wehrdienstverlängerung und „Jäger 90“, Einstellung des Tiefflugs und Beseitigung der atomaren Gefechtsfeldwaffen. Da könnten die Grünen der SPD helfen, ihre Parteitagsbeschlüsse umzusetzen, meinte Mechtersheimer unter freudiger Zustimmung von Karsten Voigt.

„Kontrovers“ sei aber Umfang und Zeitrahmen bei der Realisierung derartiger Maßnahmen, zum Beispiel, wie weit der Rüstungsexport eingeschränkt und der Wehretat reduziert wird. Und „inkompatibel“, so Wissenschaftler Mechtersheimer, seien grüne Grundauffassungen vor allem deshalb, weil die Grünen mehrheitlich eine pazifistische Partei seien, die SPD aber nicht. Sollten etwa die Grünen künftig der Produktion von Waffen zustimmen, nur weil die Bundeswehr im Sinne des SPD-Konzepts der „strukturellen Nichtangriffsfähigkeit“ umgerüstet werde? „Je intensiver die Gespräche zwischen SPD und Grünen verlaufen, um so deutlicher werden die Grenzen einer gemeinsamen Politik hervortreten“, prophezeit Mechtersheimer.

Das größte Konfliktpotential für Rot-Grün sieht er bei der westeuropäischen Militärintegration: „dem Aufbau eines zweiten europäischen Pfeilers der Nato und der Ausweitung der Westeuropäischen Verteidigungsunion (WEU). Das ist mit uns nicht zu machen.“ Da allerdings dieses Konzept von der sogenannten „Selbstbehauptung Europas“ auch bei den Sozialdemokraten nicht unumstritten ist, erhoffen sich manche Grüne, mit ihrem Widerstand die kritischen Stimmen auf dem linken SPD-Flügel stärken zu können.

Alfred Mechtersheimers Fazit: „Es gibt keinen Anlaß für rot -grüne Umarmungen“, aber: „Der programmatische Zustand von SPD und Grünen ist in der Friedenspolitik kein Hindernis für eine gemeinsame Regierungsverantwortung.“ Die Atmosphäre am Kamin von Schloß Crottorf sei irgendwie „sexy“ gewesen.