: Die Liebe ist ein seltsames Spiel
■ Im Oldenburger Staatstheater (de)premierte am Sonntag „Die Liebesgeschichte des Jahrhunderts“ von Märta Tikkanen: Ein Solo-Stück, das wieder einmal um Liebe, Schmerz und Leid kreist
Am Beginn ihrer Beziehung stand der normal-arglose Optimismus. Er wußte gleich: das wird die „Liebesgeschichte des Jahrhunderts“ und prophezeit ihr die ideale Beziehung, von der die Nachwelt sprechen wird. Im Stück spricht nun erst einmal sie selbst, versucht uns einzuweihen in die Mechanismen von Verzweiflung, Suff, Gewalt, Abscheu und Haß in dieser Ehe, in der dennoch die Liebe als stärkstes Gefühl existiert.
Das Stück ist von Märta Tikkanen, bei uns besonders durch ihr (verfilmtes) Buch „Wie verge
waltige ich einen Mann?“ (1982) bekannt. Die 1935 geborene Finnin erhielt 1979 den „alternativen Literaturpreis“ einer skandinavischen Fraueninitiative. Über ihre (inzwischen ca. 12) Bücher sagt sie: „Ich habe versucht, einzukreisen, was Liebe ist“. Die Verzweiflung aus Liebe steht im Zentrum des Stücks, bei dem die autobiographischen Züge so stark und offen dominieren, daß den ZuschauerInnen nicht möglich ist, einfach einer Fiktion beizuwohnen. Die „Liebesgeschichte des Jahrhunderts“ ist die Geschichte Märta Tikkanens.
Marlene Achtermann spielt „eine Frau“ - es müßte richtiger „die Frau“ heißen. Sie ist die einzige Darstellerin des Stücks. Allein mit vier Stühlen auf der hell ausgeleuchteten, quadratischen Spielfläche, von allen vier Seiten ebenerdig von den im Hellen sitzenden ZuschauerInnen umringt. Hinter ihnen hängen Großreproduktionen von Zeichnungen von Henrik Tikkanen, Märtas Mann: Sie umkreisen Sexualität und Gewalt, Liebe und Tod. Tikkanen, ein Alkoholiker, der die Selbstauflösung des Körpers zum Inhalt seiner Bilder machte - ähnlich wie
Charles Bukowski - ist ständig im Stück präsent.
Die Frage ist: Was ist Spiel, was ist Realität? Die Frau sitzt zwar allein auf der Bühne, doch sie repräsentiert durch ihr Spiel auch den Mann, den man nicht sieht.
Im Verlauf des Stückes erfahren wir rückblickend: Sie ist bei ihrem Mann geblieben, obwohl sie von ihm gedemütigt wurde. Warum sie trotz allem Leid bei ihm geblieben ist, davon vermittelt „Die Liebesgeschichte des Jahrhunderts“ Ahnungen und auch Verständnis. Sie würde und könnte ihren Mann verlassen, wenn er sie schlagen, sich an ihren Kindern vergreifen, oder sie betrügen würde. Sie ist unabhängig und stark. Das Stück vermittelt Einsichten in Umstände und Hintergründe, die erahnen lassen, warum die „Liebesgeschichte des Jahrhunderts“ zum Fiasko wird und dennoch immmer die Liebesgeschichte bleiben kann und bleiben muß.
„ZUM TAUSENDSTEN
MAL WIDERLEGT
STEHE ICH DA
MIT MEINEM
GEMURMEL:
TROTZDEM MUSS MAN
TROTZDEM MUSS MAN
GLAUBEN
TROTZDEM MUSS MAN
DEN MUT HABEN ZU
LIEBEN“.
Das Solo-Stück ist kein einstündi
ger Monolog, sondern ein ausdrücklicher Dialog mit unsichtbaren Figuren, woran die darstellerischen Fähigkeiten von Marlene Achtermann keinen Zweifel lassen. Sie spielt alle Ebenen des Dialogs eindrucksvoll. Nur Nur bei einigen Gefühlsausbrüchen stört die Gleichförmigkeit, mit der als theatralische Gesetzmäßigkeit Ausbruch und Erschöpfung aufeinander folgen.
Achim Könneke/Heike Bößmann
Nächste Aufführungen: Mittwoch, 15.2., 19.30 Uhr; Mittwoch, 22.2.89
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen