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Archiv-Artikel

Die Kleinen hoffen auf Karlsruhe

Mehrere Kleinparteien ziehen wegen der Neuwahl vors Verfassungsgericht. Ihre Klage: Unterschriften sammeln und Wahlkampf führen – das geht nicht gleichzeitig

FREIBURG taz ■ Neben den Abgeordneten Werner Schulz und Jelena Hoffmann wollen auch zahlreiche kleinere Parteien gegen die Auflösung des Bundestags klagen. Ihnen geht es aber nicht darum, die vorgezogene Neuwahl zu verhindern, vielmehr fordern sie ein gerechteres Wahlrecht für die Kleinparteien.

Zwei Klagen sind bisher in Karlsruhe eingetroffen. Eine Verfassungsbeschwerde der Pro-DM-Partei und ein eher knappes Schreiben der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD). Weitere Klagen wurden von den „Republikanern“ und der ÖDP angekündigt. Ihnen wollen sich auch Parteien wie das Zentrum, die Tierschutzpartei oder die Grauen anschließen.

Alle Kleinparteien müssen bis Mitte August Unterschriften sammeln, um überhaupt zu den Wahlen zugelassen zu werden. Für eine Landesliste sind – je nach Größe des Bundeslandes – rund 500 bis 2.000 Signaturen aus dem jeweiligen Land erforderlich. Für jeden Wahlkreisbewerber müssen noch einmal 200 Unterschriften aus dem jeweiligen Kreis beigebracht werden. Für eine flächendeckende Kandidatur wären insgesamt 85.700 Unterschriften erforderlich, hat Republikaner-Chef Rolf Schlierer ausgerechnet.

„Normalerweise hat man dazu 13 Monate Zeit, jetzt sind es nur wenige Wochen“, kritisiert ÖDP-Generalsekretär Claudius Moseler. „Kleine Parteien sind so mit dem Sammeln von Unterschriften beschäftigt, dass sie kaum noch den Wahlkampf vorbereiten können.“ Die Kleinparteien sehen sich deshalb massiv gegenüber den Etablierten benachteiligt, die keine Unterschriften sammeln müssen.

Als etabliert gilt eine Partei laut Bundeswahlgesetz, wenn sie im Bundestag oder einem Landtag mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten ist. Dies gilt derzeit nicht nur für SPD, CDU, CSU, Grüne und FDP, sondern auch für Linkspartei/PDS, NPD und DVU.

Die Wahlleiter im Bund, in den Ländern und Kreisen können den Parteien nicht helfen. Das Bundeswahlgesetz lässt auch bei vorgezogenen Neuwahlen keine Ausnahmen zu. Deshalb hoffen die Kleinen jetzt auf das Bundesverfassungsgericht. Es hatte 1990 bei der ersten gesamtdeutschen Wahl Parteien in den neuen Ländern vom Sammeln der Unterschriften befreit. Begründet wurde die einstweilige Anordnung damals mit dem desolaten Zustand der DDR-Verwaltung, die nicht sicherstellen konnte, dass die entsprechenden Sammelformulare überall rechtzeitig vorlagen.

Eine Klage zum Verfassungsgericht ist diesmal aber viel schwieriger. Denn ein Gesetz, das schon jahrelang gilt, kann weder mit der Verfassungsbeschwerde noch mit der Organklage direkt angegangen werden. Und Bundespräsident Köhler, gegen dessen Neuwahlanordnung die Parteien jetzt klagen, kann nichts für das Wahlgesetz.

Auch aus inhaltlichen Gründen ist fraglich, ob die Kleinparteien Erfolg haben werden. Grundsätzlich hält Karlsruhe die Anforderung, Unterschriften zu sammeln, für zulässig. Es dürfe von einer Partei der Nachweis verlangt werden, „dass sie Ausdruck eines ernsthaften, in nicht zu geringem Umfang im Volke vorhandenen politischen Willens“ ist. Auch zu verkürzten Fristen hat sich Karlsruhe bereits geäußert: „Solche äußerst knappen Zeiträume mögen hinzunehmen sein, wenn sie – wie etwa bei vorzeitiger Auflösung des Bundestages – für alle betroffenen Parteien im gesamten Wahlgebiet in gleicher Weise gelten“, hieß es im Beschluss von 1990. Das war damals allerdings nur eine unverbindliche Randbemerkung – weshalb die Kleinparteien weiter hoffen.

CHRISTIAN RATH