Die Jungen und die Pandemie: What the fuck

Was Studis in der Pandemie fehlt, sind nicht Parties und Präsenzseminare. Uns fehlt, dass wir uns mit anderen spüren.

Paulina Unfried Foto: Tarek Rishmawi

Die neue taz FUTURZWEI „Voll am Arsch“ untersucht, ob und inwiefern junge Leute die großen Verlierer der Corona-Pandemie sind. Wir fragen eine 22jährige und einen 76jährigen, was ihnen zusätzlich zu der Frage einfällt. Hier die zweite Antwort. Die erste Antwort finden Sie hier.

Von PAULINA UNFRIED

Wir reden über die ausstehende Weltrettung, die wir natürlich maßgeblich einläuten werden, und über „tiefe Gefühle“ und so was.

„Habt ihr schon mal so richtig geliebt?“ fragt Hannes.

Anton macht gerade den Espresso-Martini, Hannes liegt schon auf dem Sofa.

„Ich weiß nicht“ sagt Anton.

Früher war ich ständig bei ihnen in der WG, jetzt ist es eine Seltenheit. Ich bin gefangen in Freundschaft mit Liebe, aber ohne Nähe. Ich fühle ich mich zwar nicht alleine, aber bin es ständig.

Ich will solidarisch sein, ich will mit euch („der Gesellschaft“) gemeinsame Sache in dieser Pandemie machen, ich will das Richtige tun, aber ich will auch in einem Verhältnis leben, das ich selber einsehe. Deswegen bin ich aus meinem Zimmer ausgebrochen und liefere mich und andere einer Infektionsgefahr aus. Sorry, Gesellschaft. Ich bin seit dreizehn Monaten mit mir im Dauerkonflikt, mental am Ende, potenziell tödlich, dagegen waren meine ersten unerwiderten Liebesgefühle ein spaßiges Unterfangen am Rande.

Apropos Weltrettung, Hannes sagt: „Dieses ganze ‚ich will die Welt besser machen‘ ist nur das neue ‚ich will einen Benz fahren und viel Geld‘, es ist beides die gleiche kapitalistische Scheiße, es ist nur die neue Art, nach gesellschaftlichem Ansehen zu winseln.“

Wir sind in vollem Bewusstsein darüber, dass wir jung, verträumt und privilegiert sind, das Lebensgefühl ist top, aber es entfaltet sich eben auch nur in der Gegenwart der Anderen. Wir können aber nicht klagen, weil wir jung sind, und Corona „ist nicht so schlimm bei jungen Menschen“. Physisch mag das stimmen.

Wegen der Privilegien wurden die jungen Menschen zu Beginn der Pandemie schnell aus dem gesellschaftlichen Diskurs vernichtet, indem ihnen „unsolidarisches“ und „unverantwortliches“ Verhalten vorgeworfen wurde. Es war klar: Ihr bleibt besser ruhig und beschwert euch nicht, sonst folgt soziale Ächtung.

Drehen wir durch? Nein, dabei wissen wir, dass wir die letzten sein werden, die geimpft werden. Die letzten, die ihre mentale Ausgeglichenheit zurückbekommen, die letzten, die wieder leben, obwohl wir die sind, die sich am meisten nach dem Leben sehnen.

Der Prof kann sich anstrengen wie er will, niemand lässt mich so inspiriert zurück wie meine Freund:innen. Niemand fordert mich so heraus. Zoom ist hier nicht das größte Problem, es läuft. Ich habe dieses Semester mehr Leistungspunkte eingeräumt, als in Präsenz jemals möglich gewesen wäre, ich bin überall synchronisiert, maximiere meinen Output, weil ich überall gleichzeitig sein kann. Zoom wird trotzdem nie als Ersatzuniversität funktionieren, das Zwischenmenschliche fehlt.

Geil wird’s doch erst, wenn wir aus der Wirtschaftsvorlesung kommen, uns angucken und alle denken „wtf war das denn gerade?“. Dann folgen 60 Minuten heiße Kapitalismuskritik, und erst dann fühlen wir etwas. Werden wir etwas. Und, ganz ehrlich, den Foucault fühle ich nur so halb, wenn ich ihn nicht mit anderen besprechen kann. Wie prätentiös. Aber true. Das Beste, Tollste, Wahre am Studieren, ist das sich am-Größten-fühlen, durch die ständige Hin- und Her-Bestätigung mit anderen Menschen, die wir-gegen-alle, die wir-für-das-bessere-Dynamik, die da entsteht. Purer Luxus, der einem in jungen Jahren vergönnt ist, wenn man mit anderen zusammentrifft, die denken.

Ich werde erst interessant durch die anderen Menschen. Wenn die Bestimmten da sind, kommen meine wirklichen Gedanken raus, und dann sind sie da, und die anderen fangen sie besser auf, als ich es je könnte.

Studieren, nicht um in Seminaren zu sitzen, sondern um dringend notwendige Selbstkritik zu üben und um auf andere zu treffen, die auch denken wollen, letztlich, um sich mit anderen zu spüren. Nicht mal die Schulden, die ich später abzahlen werde, sind so schmerzlich wie die fehlende Resonanz, die mir von heute auf morgen genommen wurde. In einsamen Stunden in meinem Zimmer denke ich an die anderen, die mir eigentlich gerade helfen sollten, mich mit der Welt zu verknüpfen. Ich bin unter Druck, wenn ich jetzt kein Gefühl für die Welt kriege, wann dann? Ich lebe in Zeiten der Singularisierung, nehme mich dementsprechend super wichtig. Wir drehen uns alle schon genug um uns selbst. Und dann auch noch ich, allein mit mir selbst, jeden Tag.

An diesem Abend auf dem Sofa von Hannes und Anton machen wir gemeinsame Sache, obwohl wir nie einer Meinung sind. Mit ihnen komme ich raus aus meinen Gedanken, die sich sonst schlimmer um sich selbst drehen als nach exzessivem Alkoholkonsum.

Anton sagt: „Warum streben wir nach dem Benz, statt nach Mehrwert im Leben anderer? Warum schauen wir zu den Großen, die gegen die Gesellschaft arbeiten?“

Ich glaube, wir werden später darüber reden, wie die jungen Menschen, die eigentlich da draußen sein müssten und die Welt erfahren, um dies im nächsten Schritt als erfolgreiche Weltverbesser:innen produktiv zu kriegen, wie die jetzt emotional vereinsamen. Ihnen wird die Jugend genommen, nicht weil sie nicht im Club Party machen sind, sondern weil sie nicht mit anderen zusammen existieren können.

Später laufe ich nach Hause in mein Zimmer und fühle mich glücklich. Warum gerade jetzt? Durch das mit anderen sein, fühle ich mich zum ersten Mal seit langem wieder jung. Jung genug, um einen narzisstischen Text zu schreiben, der meine vielen Privilegien nochmal auf die nächste Stufe hebt.

Aber wofür ist man heutzutage sonst noch jung?

PAULINA UNFRIED, 22, studiert PPÖ (Philosophie, Politik und Ökonomik) an der Uni Witten/Herdecke. Dieser Text ist aus der aktuellen Ausgabe der Pottpost, Campuszeitung dieser Uni. Danke dafür.

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