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Die Grüne Jugend will, dass die Leute das mit den Deutschlandfahnen an Autos, sich selbst und an ihren Balkons lassen. Das ist ganz schön mutigDer Ruhm unserer Siege

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Hammer und Zirkel im Ährenkranz, Zeichen des Glücks an der Wiege. Weit über die Grenzen des Vaterlands trägt es den Ruhm unsrer Siege.“ So sang ich einst als junger Pionier mit anderen jungen Pionieren. Ich hatte keine genaue Vorstellung von welchen Siegen die Rede war und wie es mit dem Ruhm meines Vaterlandes so stand, aber es fühlte sich so schön an.

Weil, wir waren ja dabei, wir jungen Pioniere, wir durften alle die gleichen Halstücher tragen und durften die Fahne unseres Landes schwenken. Wir waren unser Land, und wir waren stolz, wegen der Siege und des Ruhmes, das hat uns alle so glücklich gemacht.

Deswegen verstehe ich jetzt die Fußballfans, die auch stolz sind, und voller Glück, wegen des Ruhms unserer Siege, und die sich deshalb so gemeinschaftlich einkleiden und Fahnen schwenken.

Ich verstehe es, dass sie sich bei Lidl eine in Taiwan gefertigte Fahne für 1,99 Euro kaufen und die sich mit einem Saughalter an ihren Opel Astra heften. Ich verstehe es, dass sie der ganzen Welt zeigen wollen, dass sie so glücklich sind, über den Ruhm unserer Siege, also den Ruhm der Siege unserer Fußballmannschaft.

Denn die Fußballmannschaft, das sind ja wir, auch wenn unsere einzige sportliche Leistung darin besteht, zum Auto zu gehen, und vom Parkplatz zum Lidl. Vielleicht gehen wir auch vom Auto zu unserem Bürostuhl. Vielleicht drehen wir uns einmal freudig im Bürostuhl um uns herum. Aber das soll uns nicht an unserem Stolz hindern, den wir für Menschen empfinden, die zwar nicht mit uns verwandt sind, die wir auch nicht kennen, die aber eine wichtige Eigenschaft mit uns teilen, sie sind deutsch!

Ich weiß, wie das ist, denn ich war einmal DDR-deutsch. Und ich war mächtig stolz, ich habe das sehr stolz hergezeigt, mit meinem Pionierhalstuch und ich habe gerne eine DDR-Fahne geschwenkt und freudig gejubelt. Das Jubeln und Freuen über die Erfolge meiner Mannschaft, meines Landes, das ist mir von Geburt an vertraut. Das muss man eben lernen, dass man stolz sein kann, auf etwas, was man zwar nicht selbst vollbracht hat, das aber andere vollbracht haben, die auch deutsch sind.

Auf das, was andere vollbringen, die nicht deutsch sind, sollte man besser nicht stolz sein. Auf das, was zum Beispiel die BRD-Deutschen damals vollbracht haben, also auf deren Ruhm ihrer Siege, da war man als DDR-Deutscher auch besser nicht stolz.

Um das jetzt zu zeigen, dass man ausschließlich auf die deutschen Siege stolz ist, befestigt man möglichst viel Deutsches an sich, seinem Balkon und seinem Auto. Wer dafür kein Verständnis hat und das vielleicht sogar nationalistisch findet, gehört eigentlich getötet. Die jungen Grünen haben sich dementsprechend geäußert, auch die Hamburger Jugendabteilung der Grünen findet es nicht so schön, mit den Fahnen, und hat gesagt, dass die Leute das besser lassen sollen.

Nun muss man schon sagen, dass das mutig ist. Denn wer so etwas fordert, der gehört, wie bereits gesagt, getötet, zumindest verbal. Da kriegt man richtig eins aufs Maul, für so eine Forderung in solchen Zeiten. Auch wenn das doch eine sehr sanfte und friedliche Aktion ist. Anders, zum Beispiel, wenn eine Grüne Jugend fordern würde, sämtliche deutsche Fahnen von den Autos zu ruppen, von den Balkons zu angeln und in der Elbe zu versenken. Sowas in der Art könnte man doch von jungen, wütenden, politisch engagierten Leuten erwarten, oder?

Aber die Grüne Jugend ist mehr sanft. Sie möchte nicht geschlagen werden, oder auf eine Polizeiwache müssen. Sie sagt nicht: „Reißt die Fahnen runter!“ Sie sagt: „Ach, Leute, lasst das doch mit den Fahnen!“ Nicht dass ich das befürworten würde, wenn deutsche Fahnen runtergerissen würden. Lasst die Menschen feiern, den Ruhm unsrer Siege.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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