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Archiv-Artikel

Die Generation vor Ally

Dinge, die Frauen aus Liebe tun, und Bücher von Schriftstellerinnen, die bieder und kitschig und rasant und klug und auch wunderschön trivial und leicht sind: neue Romane von Sabine Schiffner, Zeruya Shalev und Melissa Bank

von MARION LÜHE

Bremen ist nicht Lübeck, und Sabine Schiffner nicht Thomas Mann. Auch wenn das Sujet ihres Romans „Kindbettfieber“ (die Geschichte einer hanseatischen Kaufmannsfamilie über mehrere Generationen) ebenso wie die Häufung von Sätzen mit Überlänge gewisse Assoziationen wecken könnten. Allein die Satzmonster entpuppen sich als Aneinanderreihung von Hauptsätzen: „Sigune hat das Bild vor Augen jener Taube, wie sie sich in die Hand schmiegt des Kindes, das in Worpswede gemalt wurde und das heute, wenn es noch lebt, wohl schon längst Urgroßmutter ist, eines kleinen Mädchens im blauen Kleid, das sie sein könnte, als Kind, ein norddeutsches, das ist sie, Bauernmädchen, das ist sie nicht, aber auch sie mit früher sanften Augen und glattem Haar, und auch sie mit dieser Tierliebe, die immer Tiere nehmen und anfassen und streicheln möchte, und sie stellt sich vor, dass die Taube in der Hand des Mädchens …“ Und so weiter.

Vier Frauengenerationen kommen zu Wort, von der Urgroßmutter Hinrike Stilbon bis zur Urenkelin Sigune Vorinsfeld – auch Thomas Manns Vorliebe für sprechende Namen scheint Schiffner zu teilen. Mit Ausnahme Sigunes, die eine Abtreibung vornehmen lässt, berichten die Frauen von der Geburt ihres ersten Kindes. Allesamt leiden sie im Wochenbett am Kindbettfieber, einer Art postnataler Depression, die den Roman als Leitmotiv durchzieht.

Obwohl die 1965 geborene Autorin spürbar um einen sinnlichen, detailgenauen historischen Background bemüht ist, wirkt alles einerlei. Ob die Handlung am Vorabend des Ersten Weltkrieges, in den Sechziger- oder in den Achtzigerjahren spielt, ist eigentlich egal. Mal findet die Geburt zu Hause statt, mal im Krankenhaus, mal fährt man Kutsche, mal VW Käfer, mal zwitschert draußen eine Amsel, mal dröhnt das Bombengeschwader. Keine der Erzählerstimmen besitzt einen eigenen, authentischen Ton. Die Sprache dieses Romans soll poetisch sein, ist aber bloß biedermeierlich, betulich, kitschig.

Auch in Zeruya Shalevs neuem Roman „Späte Familie“ findet man Sätze, die über eine ganze Seite gehen, und auch hier handelt es sich vorwiegend um Aneinanderreihungen von Hauptsätzen. Die Wirkung ist allerdings eine andere als bei Schiffner. Nicht bedächtig, sondern atemlos, wie unter Adrenalin erzählt ihre Protagonistin Ella Miller vom Ende ihrer Ehe und dem Beginn einer neuen Liebe. Nach zehn Jahren trennt sie sich eines Tages von ihrem Mann, mit dem sie nur noch das gemeinsame Kind verbindet. Doch statt Erleichterung verspürt sie bald eine tiefe Verunsicherung, denn plötzlich ist sie allein mit dem Sohn, dem sie den Vater genommen zu haben glaubt. Im Rückblick erscheint ihr die heile Familie als Ideal, dem man seine egoistischen Wünsche unterordnen muss. Elsa stürzt sich in eine neue Beziehung mit einem Psychiater, selbst Vater zweier Kinder, und träumt von einer neuen, „späten“ Familie. Auf die anfängliche Euphorie folgt rasche Ernüchterung.

Shalev erzählt rasant, wie die Liebenden sich allmählich in Kämpfer verwandeln, die erbittert die Rechte ihrer jeweiligen Kinder einfordern, sexuelle Macht gegen Blutsverwandtschaft ausspielen und sich dabei fast zugrunde richten. Wie in ihren beiden vorhergegangenen Romanen gelingt es der israelischen Autorin, einen Sog und eine Spannung zu erzeugen, die den Roman bis zur letzten Seite trägt. Doch ist auch ihr Schreibstil nicht ganz kitschresistent. Vor allem die in den Redefluss eingestreuten biblischen und mythischen Motive, die das Archaische, Überzeitliche moderner Familien- und Beziehungskonflikte betonen, sind ebenso deplatziert wie etwa der Auftritt eines römischen Legionärs in einem Einkaufszentrum. Und auch die ständigen Vergleiche zwischen freigelegten Ausgrabungsstätten– Ella ist Archäologin – und den offenen Wunden verletzter Seelen bewirken, dass das Lesevergnügen ein nicht astreines ist.

Um „Dinge, die Frauen aus Liebe tun“ geht es auch in Melissa Banks neuem Roman. Das klingt nach richtigem Schund, ist es aber gar nicht. Die New Yorker Autorin bedient nicht das übliche Frauenromanklischee, bei ihr gibt es keine Schwätzchen über Sex bei Prosecco, keine Gewichtsprobleme, keinen schwulen Freund, der bei Liebeskummer tröstet.

Stattdessen erzählt Bank in locker aneinander gefügten Episoden die Geschichte der jungen Sophie Applebaum, die sich zwischen Provinz und Großstadt, Familientradition und Job zurechtfinden muss. Der Glaube bietet der assimilierten Jüdin, die religiöse Rituale mit ironischer Distanz betrachtet, sich schon in der Schule weigert, Hebräisch zu lernen und wegen ihres unkoscheren Essverhaltens aus der WG fliegt, keinen Halt. Von Marketing und Strategie hat sie in ihrem Beruf als Verlagslektorin nicht den blassesten Schimmer, und die große Liebe kennt sie nur aus dem Buch.

Als eine Art weiblicher Woody Allen stolpert sie durch Manhattans Bars und Wohngemeinschaften und stellt lustige Beobachtungen über ihre Mitmenschen an. Das ist trivial, aber immerhin täuscht dieser leichte Roman, dessen trockener, lakonischer Tonfall eher an Nick Hornby als an Hera Lind erinnert, keine Bedeutungsschwere vor. Das ist doch auch schon mal etwas wert.

Sabine Schiffner: „Kindbettfieber“. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005, 334 S., 18,90 Euro Zeruya Shalev: „Späte Familie“. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2005, 581 S., 22 EuroMelissa Bank: „Dinge, die Frauen aus Liebe tun“. Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz. Diana, München 2005, 432 S. 19,90 Euro