Die Geher im toten Winkel der Stadt

Die deutschen Meisterschaften der Geher über 20 Kilometer finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Im schattenlosen „Europarc Dreilinden“ leiden die Sportler unter der Hitze. So bleibt auch die WM-Norm unerreicht

„Mir war teilweise richtig schwindelig“

von ANDREAS RÜTTENAUER

Dreilinden ist ein Ort der Vergangenheit, beinahe ohne Gegenwart. An die Schikanen am Autobahngrenzübergang nach Westberlin wird sich noch mancher erinnern. Heute jedoch wird der Ortsteil von Kleinmachnow kaum noch wahrgenommen. Im Industriegelände „Europarc Dreilinden“ hat zwar das Internetauktionshaus Ebay seine Deutschlandzentrale errichten lassen, doch gefeilscht wird virtuell, und so wirkt das Gelände mit seinen nagelneuen Straßen an Wochenenden beinahe ausgestorben.

Daran konnten auch die Deutschen Meisterschaften in 20 Kilometer Gehen der Männer nichts ändern, die am Sonntag in eben jenem „Europarc“ ausgetragen wurden – „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“, wie Hans-Ulrich Hannemann, Geschäftsführer des ausrichtenden Brandenburger Leichtathletikverbandes zugab.

Nun ist Gehen sicherlich keine Sportart, die die Massen elektrisieren könnte, doch eine Veranstaltung, die ohnehin Probleme mit der Außenwirkung hat, in den toten Winkel zwischen Autobahn und Düppeler Forst zu legen ist den teilnehmenden Athleten gegenüber beinahe schon unverschämt.

Eigentlich wollten die Organisatoren die Meisterschaft im Filmpark Babelsberg austragen. Doch am Kindertag waren die Geher dort unerwünscht. So war die Entscheidung für Dreilinden eher aus der Not geboren. Immerhin hatte die Wochenendruhe im Industriepark den Vorteil, dass es kaum Probleme mit der Absperrung des Kurses gab. Außerdem fand man sportliche Argumente für den Austragungsort. Der flache Rundkurs lasse gute Zeiten zu, vermutete man. Schließlich hat noch kein deutscher Geher die Norm für die kommende Weltmeisterschaft in Paris erfüllt. In Dreilinden, so hoffte man, sollte dies möglich sein.

Doch schon vor Beginn des Rennens war klar, dass auch in Dreilinden keiner der nicht gerade zahlreich angetretenen Geher das Ticket nach Paris würde lösen können. Die zwei deutschen Spitzenathleten Andreas Erm und André Höhne mussten verletzungs- beziehungsweise krankheitsbedingt absagen, die anderen deutschen Mitläufer sind ohnehin nicht in der Lage, die geforderten Zeiten zu gehen.

Womit die Veranstalter außerdem sicher nicht gerechnet hatten, waren die schier unmenschlichen Temperaturen, die sich schon am Vormittag im 30-Grad-Bereich bewegten. Absolute Spitzenzeiten wären so nur schwer erreichbar gewesen. Hier machte sich ein weiterer Nachteil des Geländes bemerkbar. Die Bäume im schicken Industriepark sind noch zu jung, um Schatten spenden zu können.

Meister wurde am Ende der Berliner Maik Berger, der sich nach einer erfolgreichen Juniorenkarriere endlich auch in der absoluten Elite durchsetzen konnte. Er siegte in einer Stunde und 28,24 Minuten vor den Gebrüdern Mike und Denis Trautmann aus Gleina. Das wurde brav zur Kenntnis genommen und auch die wenigen Ausflügler, die von ihren Rädern gestiegen waren, um den Männern im Kugellagergang zuzusehen, applaudierten.

Sportlich wirklich bemerkenswert waren aber eher die Leistungen im Rahmenprogramm. Außer Konkurrenz lief Melanie Seeger, die Weltmeisterschafts-Siebte von Edmonton, über zehn Kilometer neue persönliche Bestleistung und untermauerte ihre Ambitionen für die Titelkämpfe in Paris, für die sie sich schon lange qualifiziert hat.

Die Norm noch nicht erreicht hat Andrea Meloni. Für sie entwickelte sich das Rennen zu einem wahren Drama. Nachdem sie vor zwei Wochen in Naumburg auf Normkurs war, aber von den allmächtigen Gehrichtern, die darauf achten, dass immer ein Bein auf dem Boden bleibt und das Kniegelenk durchgestreckt wird, disqualifiziert worden war, war der Wettkampf in Dreilinden ihre letzte Chance, sich das Ticket für Paris zu holen. Sie schaffte es nicht. „Mir war teilweise richtig schwindelig“, meinte sie nach dem Rennen. Sie war ein Opfer der Hitze geworden.

Die ersten Siegerehrungen liefen schon, da stand sie noch immer restlos enttäuscht am Straßenrand. Über die Anlage wurde die Ergebnisse durchgesagt. Zuschauer waren schon lange keine mehr da. Sportler, Funktionäre und Trainer waren unter sich. Ein trauriges Ende einer Deutschen Meisterschaft in einer olympischen Disziplin.