Die Farm in der Großstadt

■ Eine Idee wird Zehn: Kinder- und Jugendfarm Habenhausen feiert Geburtstag

„Wir sind hier nie fertig“, sagt der Vereinsvorsitzende der Kinder- und Jugendfarm Habenhausen, der Sozialpädagogik-Professor Helmut Machura. Wenn die „Farm“, wie sie kurz genannt wird, auch einmal „fertig“ wäre, wäre sie tot - völlig unpädagogisch die Idee. Dreißig, vierzig Kinder und Jugendliche kommen hier jede Woche mehrmals hin, um „ihre“ Tiere zu pflegen, Ställe auszumisten, zu reiten, zu bauen, im Jugendtreff Musik zu hören. Die Farm ist für hunderte von Jugendlichen ein einzigartiger Anziehungspunkt. Am Sonntag feierte sie das „zehnjährige“ Jubiläum der Idee.

Jana, zehnte Hauptschulklasse, ist „zweite Farmsprecherin“. Seit dem ersten Tag ist sie dabei, damals war sie sieben. Die Farm ist ihr zweites Zuhause, jeden Tag kommt sie, hier hat sie ihre Freunde. „Für viele Großstadtkinder sind natürliche Zusammenhänge und Vorgänge in der Tier- und Pflanzenwelt aus mangelnder eigener Erfahrung unverständlich und fremd“, steht in dem pädagogischen Prospekt der Jugendfarm. Für Jana, das Großstadtkind, gilt das dank Farm nicht. Und sie weiß, daß die Farm auch ein Stück von ihr abhängt: inzwischen hat sie montags die Reitaufsicht, sie pflegt die Pferde. Jedes Kaninchen und jeder Hamster hat hier sein „Patenkind“, Hühner und Enten werden von den Kindern versorgt, eine Vierzehnjährige ist zuständig für Bonni, das Ponny, und die Ponny-Kutsche. Auch Gartenarbeit wäre zu verteilen, aber das lieben Jugendliche weniger – derzeit ist der Garten das Demonstrationsobjekt für das, was passiert, wenn einer seine Pflichten nicht ernst nimmt.

Mareike, 8. Hauptschulklasse, hat von den Eltern drei „Lerntage“ aufgebrummt bekommen. Sonst wäre sie jeden Nachmittag hier. Ziegen, Hasen und Pferde sind ihr Verantwortungsbereich. Auch sie ist seit Jahren dabei, kümmert sich also um alles, was auf den 30.000 Quadratmetern „Farm“ anfällt. Was die beiden Mädchen sich wünschen? „Mehr Angebot für Jugendliche“, ein Basketball-Feld vielleicht, irgendwas zum Austoben. Immerhin gibt es einmal in der Woche den „Jugendtreff“, am 30. April organisierte die Farm einen „Tanz in den Mai“ für die Teenes.

Sowas fehlt, das weiß „Helmut“, der Vereinsvorsitzende. Aber der Verein trägt sich weitgehend aus ehrenamtlichem Engagement, und da ist ein Jugendprogramm nicht so leicht aus dem Boden zu stampfen. Als beim Jugendhilfetag 1984 die Idee einer Kinder-Und Jugendfarm nach Bremen getragen wurde, da hatte keiner der Studenten und Hochschullehrer der Sozialpädagogik eine präzisere Vorstellung davon, wieviel Arbeit das machen könnte. Gründungs-Professor Wolf Wrisch ließ seine Studenten am praktischen Beispiel lernen, wie man PR für eine Sache macht, und Politik-Professor Machura machte ein Übungsfeld des Behördenumgangs daraus. „Zu unserem großen Erstaunen“, sagt er heute, fand die Idee in den Behörden Anklang. Geld bekamen die Hochschul-Leute nirgends, aber Zusagen für Unterstützung.

Die Idee, die Farm auf der geplanten Georg-Bitter-Trasse zu erreichten und dieses Straßenbau-Projekt damit zu verstopfen, scheiterte. Nach einigem Suchen stellte die Stadt in Habenhausen ein geeignetes Gelände zur Verfügung - eine Wiese. Auf ABM-Basis wurden alte Klinker-Steine abgeklopft und in liebevoller Handarbeit einzigartige Gebäude errichtet. Stück für Stück entstanden Gebäude, Schuppen, Ställe, Weiden, eine Galierie Obstbäume, Teiche, ein Gemüsegarten... „Hier sind viele Jugendträume verwirklicht“, sagt Machura. Liesel, der Esel, stammt von ihm, fast alle Tiere wurden irgendwann einmal der Farm geschenkt, die Architekten-Pläne für das Haupthauses machte ein Mitarbeiter des Gartenbauamtes, das Futter-Brot liefert ein Bäcker, Gemüse wird vom Großmarkt kostenslos abgeholt, das Farmfest engagiert zig Eltern und weil alles gespendet wurde, hat der „Helmut“, der Professor, am Samstag zehn Bleche Butterkuchen gebacken.

10.000 Mark muß das Fest in die Kasse bringen. Die Stadtgemeinde finanziert inzwischen die Löhne für anderthalb der zwei Festen – ohne Susanne Molis und Hajo Hoffmann wäre die Vielzahl ehrenamtlicher Initiative nicht zu koordinieren. Aber um die Löhne zahlen un zu können und die paar anderen Ausgaben und Investitionen täigen zu können, muß die Farm jedes Jahr mindestens 100.000 Mark zusätzlich „erwirtschaften“, angefangen vom Verkauf von Eiern bis hin zur Tombola auf dem Fest, durch Mitgliedsbeiträge und schließlich durch Spenden.

Die Idee ist so gut, daß sie Unterstützung aus allen Himmelrichtingen bekommt: Mal reicht Möbel Klingenberg einen Scheck über die Habenhauser Brückenstraße, mal sorgt das Ortsamt oder Bürgermeister Gattin, die um die Ecke wohnt, für Hilfe. So ist in den 10 Jahren inzwischen ein rundes Angebot an Tätigkeiten entstanden, ein Backhaus, Öko-Teich, eine Indianer-Hütte, ein Öko-Laden. Als letztes Angebot ist ein Spielplatz für die Kleinen dazugekommen, für die die Farm als „Streichelzoo“ eine große Attraktion ist. „So haben die, die heute als Jugendliche die Stütze der Farm sind, hier auch einmal angefangen“, freut sich der Sozialpädagoge Machura. Mindestens 300 Kinder waren am Sonntag zum Schnuppern in die „Farm“ gekommen. K.W.