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■ Die Europakontroverse in der UnionStoiber ungebremst

Der Form nach hat Helmut Kohl alles richtig gemacht: Auf Edmund Stoibers Anti-Europa-Debatte reagierte der Kanzler mit einer – wie anders? – proeuropäischen Regierungserklärung. Dennoch hat die unionsinterne Konfrontation im Bundestag keine Klarheit über den künftigen europapolitischen Kurs der beiden Schwesterparteien erbracht. Das Unbehagen bleibt. Über die Realitätsnähe von Stoibers Einschätzung, die „Union insgesamt“ vollziehe derzeit die Europa-Wende, darf weiter spekuliert werden. Zwar hat Kohl „vor dem Forum der deutschen und internationalen Öffentlichkeit“ sein Europa-Bekenntnis erneuert, doch zugleich peinlich vermieden, Stoiber auch nur zu erwähnen. Er hat – von den „bösen Geistern der Vergangenheit“ bis zur zukunftssichernden Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses für die Bundesrepublik – seine hinlänglich bekannte Argumentation entfaltet, nicht mehr. Die Richtlinienkompetenz hat er wahrgenommen, doch den Affront gegen das Kernstück seiner Außenpolitik nicht gekontert.

Allein dadurch konnte Stoiber, nach dem Probelauf per Interview, seine Position jetzt vor dem Bundestag neben die Kohls stellen und so ein Stück Legitimation für seinen Sonderweg gewinnen.

Daß Kohl die Herausforderung aus Bayern nicht wirklich angenommen hat, könnte man als Indiz für beginnenden Autoritätsverfall und als Hinweis dafür nehmen, wieviel Anklang Stoibers Position in der „Union insgesamt“ schon findet. Doch selbst die nicht ganz so dramatisch klingende Interpretation, Kohl wolle den innerparteilichen Frieden nicht weiter strapazieren, kann kaum beruhigen; ebensowenig wie der halb entschuldigende Verweis auf die wahltaktischen Notwendigkeiten der CSU, die 1994 die schwierigsten Wahlauseinandersetzungen ihrer Geschichte bestehen will. Denn indem Kohl die bayerische Wende hinnimmt, toleriert er, daß die CSU mit antieuropäischer Stimmungsmache in Konkurrenz zu Schönhuber geht. Doch wie sich eine populistisch aufgeladene Wahlkampfidee verselbständigt, ist mit der Asyldebatte hinlänglich vorgeführt worden. Stoiber jedenfalls hat gute Chancen, eine europapolitische Neuauflage hinzubekommen, seine Zielgruppe ist breit gefächert: Überzeugten wie halb verunsicherten „Europäern“ schmiegt er sich an, indem er auf Parallelen zwischen dem Urteil des Verfassungsgerichtes und seinen Positionen verweist. Das schafft Einstiegsakzeptanz. Die schillernde Kampfansage an Regelungswut, Esperanto-Währung und Überfremdung bayrisch- deutscher Identität ist auf die protestgestimmte Wählerschaft zugeschnitten. Für diejenigen, bei denen solche Parolen nicht ankommen, hat Stoiber die moderate Variante parat: „Die Sorgen der Menschen ernst nehmen.“ Das Ganze wird klug-reaktionär eingefaßt: Die Westbindung war funktional zu Zeiten des kalten Krieges und der deutschen Spaltung. Mit deren Ende aber hat sich die europäische Orientierung von einer zentralen Bedingung deutscher Souveränität zu deren Fessel entwickelt...

Besser hätte Margaret Thatcher ihre Memoiren kaum plazieren können. Stoibers historische Dialektik jedenfalls reproduziert ziemlich genau den Alptraum, den Kohl seinen europäischen Partnern im Zuge des Vereinigungsprozesses ausreden konnte. Um so argwöhnischer wird in Brüssel jede Runde der unionsinternen Europa-Debatte verfolgt, um so unverständlicher erscheint es, daß Kohl die erste und beste Gelegenheit verstreichen ließ, den bayerischen Ministerpräsidenten zur europäischen Raison zu bringen. Wenn er Stoiber nicht doch noch stoppt, wird es eng – zuerst für Kohl. Matthias Geis

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