■ Die EU beginnt die Verhandlungen mit den Beitrittsländern: Die Entdeckung der Langsamkeit
Als der Eiserne Vorhang fiel, war die Begeisterung auf seiten der EU wie auf seiten der osteuropäischen Länder einhellig: Osteuropa werde den bis eben noch beherrschenden Sowjets entrissen und ein für allemal fester Bestandteil des Westblocks werden. Fast ein Jahrzehnt später ist die Erinnerung an die Blockkonfrontation verblaßt. Handel und Wandel blühen in den Reformstaaten bis auf wenige Ausnahmen auch ohne Mitgliedschaft in der EU auf.
Zunehmend fällt da der Blick auch auf die Nachteile, die die Osterweiterung für westeuropäische Interessen bedeuten würde. Die deutsche Bauindustrie etwa ängstigt sich vor ungehemmt eindringender Billigkonkurrenz; die Landwirte fürchten um ihre Subventionen; und die Mittelmeer-Anrainer müssen sich als viel zu wohlhabend erkennen, um noch auf den unverminderten Bezug von Strukturhilfen hoffen zu können.
Will die EU wirklich noch die Osterweiterung? Offiziell ist die Antwort darauf ein klares Ja. Deshalb werden bei den heute beginnenden Verhandlungen mit den fünf ersten Beitrittskandidaten erst mal nur die relativ unstrittigen Themen wie Kultur, Bildung und Sicherheits- und Außenpolitik verhandelt. So soll Schwung in die Verhandlungen kommen, ein Schwung, der die Partner dann anschließend über die größten Hindernisse – Agrarsubventionen und Regionalhilfen – befördern soll.
Die Zwischentöne aber sind skeptischer. Hat die EU nach dem Fall der Mauer noch von einer Aufnahme der Osteuropäer im Jahr 2000 gesprochen und sich im letzten Jahr auf 2002 festgelegt, weigert sich die westeuropäische Seite jetzt auf einmal beharrlich, überhaupt noch ein Datum zu nennen.
Der neue Bundesaußenminister Joschka Fischer hat schon deutlich gemacht, daß auf jeden Fall erst mal das Problem der in seinen Augen zu hohen deutschen Nettoeinzahlungen in den EU-Haushalt gelöst werden muß, bevor neue Mitglieder aufgenommen werden können. Von begrenzten Spielräumen spricht der Grüne und von einem gewandelten Meinungsbild in der Bundesrepublik. Mit der Bundesregierung aber verlieren die Beitrittsländer ihren Hauptverbündeten in der EU.
Aus der bestechenden Idee der Osterweiterung wird ein langer und schmerzhafter Prozeß. Die noch enthusiastischen Beitrittskandidaten sollten sich frühzeitig darauf einstellen. Eine Alternative zur Anbindung an die EU haben sie jedoch nicht – und das wissen die Unionsmitglieder. Ihre Hinhaltetaktik können und werden sie deshalb ohne jegliches Risiko beibehalten. Nicola Liebert
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