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Die Bundesanstalt für Arbeit gibt bekannt:Im Westen Aufschwung, im Osten Kahlschlag

■ Die Arbeitslosenstatistik zeigt für die beiden Teile Deutschlands gegensätzliche Tendenzen: Während die Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter im Osten dramatisch anstieg, sank sie im Westen.

Deutschland ist der Motor der europäischen Konjunktur.“ Heinrich Franke (CDU), Präsident der Bundesanstalt für Arbeit (BfA), lobt die wirtschaftliche Entwicklung bei der monatlichen Bekanntgabe der neuesten Arbeitsmarktzahlen in höchsten Tönen. Doch der Motor läuft nicht gleichmäßig. Während in der ehemaligen BRD die Arbeitslosenquote auf 6,5% gesunken ist, zeigt die Tendenz in der ehemaligen DDR steil nach oben. Von Juni bis Oktober ist die Zahl der Arbeitslosen auf nahezu das Vierfache gestiegen, die Arbeitslosenquote stieg von 1,6% auf 6,1%. Der Anstieg hat sich dabei gegenüber dem Vormonat noch einmal beschleunigt, ebenso der überdurchschnittliche Frauenanteil (von 53,2% im September auf 54,2%).

Im Osten wirken die „strukturellen Anpassungsvorgänge weiterhin belastend“, umschreibt Franke vornehm die Lage in der ehemaligen DDR. Die Situation auf dem dortigen Arbeitsmarkt sei durch einen weiteren Abbau „überkommener Arbeitsplätze“ gekennzeichnet. Franke gibt aber zu, daß sich dieser Abbau „schneller und massiver“ vollzieht, als im Anstieg der Arbeitslosigkeit zum Ausdruck kommt. Den Vorwurf einer Verschleierung der Arbeitslosenzahlen in Zusammenhang mit der DDR-spezifischen Kurzarbeiterregelung weist er jedoch weit von sich. „Kurzarbeit fängt in großem Umfang strukturelle Anpassungsprozesse und friktionelle Hemmnisse auf“, liefert der BfA-Chef einen weiteren Beweis für seine Formulierungskünste. Nach einem noch von der DDR- Volkskammer verabschiedeten Gesetz können Betriebe, denen die Arbeit ausgeht, ihre Beschäftigten zunächst auf Kurzarbeit setzen. Diese Regelung soll den allzu rapiden Übergang in die Arbeitslosigkeit abfedern, die Betroffenen sollen die Kurzarbeit zur Weiterbildung und Umschulung nutzen. Das Gesetz ist bis Mitte 1991 befristet, dann jedoch werden die Arbeitslosenzahlen hochschnellen. Im Oktober gab es in der Ex-DDR 1,77 Millionen Kurzarbeiter (Juli 0,66 Mio.). Das sind knapp 19% aller Beschäftigten. Mehr als ein Drittel davon hat einen Arbeitsausfall von über 50%. Die Zahl der Kurzarbeiter ist damit gegenüber dem Vormonat noch einmal um über 38.000 gestiegen. Dieser Tendenz trägt Franke mit seiner Aussage Rechnung, daß die „untere Widerstandslinie“ in der DDR erst Mitte '91 erreicht sein werde, bis dahin also noch eine „lange Durststrecke“ zu überwinden sei.

„Ich bin ja kein Wahlkämpfer“, betont der Präsident der Bundesanstalt, deswegen wolle er auch keine Illusionen schüren. „30% der 9,5 Millionen Beschäftigten in der DDR haben Arbeitsplätze, die nicht der Konkurrenz des internationalen Marktes ausgesetzt werden können.“ Dieser Abbauprozeß ist bereits in vollem Gange. Im August dieses Jahres waren in Industrie, Handel und Verkehr zusammen etwa 700.000 Personen weniger beschäftigt als ein Jahr zuvor. Im April, Mai und Juni waren es zusammen erst 350.000. Für den Staatssektor veranschlagt die BfA einen Rückgang seit Herbst letzten Jahres von mindestens 300.000. Dazu kommt noch der Personalabbau in der Landwirtschaft.

Eine BfA-Pressekonferenz jedoch ohne positive Tendenzen. „Der neue Teil der Bundesrepublik ist zu einem Feld aktiver Arbeitsmarktpolitik geworden“, betont Franke und verweist auf 8.400 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auf 17.300 erfolgreiche Stellenvermittlungen und auf 23.200 Personen, die sich mit Förderung der Arbeitsämter beruflich weiterqualifizieren — jeweils mit steigender Tendenz gegenüber den Vormonaten. Bernd Siegler, Nürnberg

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