■ Die Bonner Koalition und der gesellschaftliche Konsens: „Alles oder nichts und das sofort“
Wer es bisher noch nicht gemerkt hat, dem mußte nach der gestrigen Bundestagsdebatte über künftige Bundeswehreinsätze endgültig klar sein: Die PolitikerInnen der Regierungskoalition in Bonn haben ihren Kopf verloren. Der Auslöser hierfür ist vergleichsweise undramatisch: Deutsche Soldaten müssen eventuell einige Nato-Flugzeuge verlassen, wenn die zum Kampfeinsatz über Bosnien aufsteigen. So etwas gab es schon früher. Doch nun soll dieses durchaus zweitrangige Problem plötzlich dafür herhalten, die vielleicht einschneidendste Grundgesetzänderung herbeizuführen, über die seit der Wiederbewaffnung diskutiert wurde – und das Hals über Kopf.
Von heute auf morgen, so wollen es FDP und Union, sollen sich die Deutschen an eine andere Republik gewöhnen. Per Schocktherapie soll die Welt lernen, daß Deutschland wieder offensive Militärmacht ist. Für die Regierung alles nur ein Problem der Grundgesetzänderung: Kinkel und Rühe klagen über die deutsche „Isolierung“ – als bestünden die Nachbarländer nur aus drängelnden Generalstäben. Der Außenminister spricht vom „gesellschaftlichen Konsens“. Wie unpolitisch und technokratisch muß man eigentlich sein, um zu glauben, dieser Konsens ließe sich herstellen, indem man die SPD über den Verhandlungstisch zieht?
Betrachtet man ihn ganz abstrakt, hat der Vorschlag der Regierungskoalition einige plausible Seiten. Natürlich können die Deutschen nicht lautstark eine Militärintervention in Bosnien fordern, wenn dafür nur Engländer, Niederländer oder Franzosen ihr Leben riskieren müssen. So sehr es richtig ist, daß deutsche Soldaten sich auf dem Balkan nie wieder blicken lassen sollten, so gewiß lassen sich Konflikte auf dieser Erde denken, in denen die UNO oder auch eine künftige Europäische Union deutsche Soldaten gebrauchen könnten. Würde sich die Koalition bereit finden, vor allen Kampfeinsätzen eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag vorzuschreiben, die stets die Opposition einbezieht, ließe sich noch weniger einwenden.
Aber es geht nun einmal nicht um eine normale Frage in einem normalen Land. Unfreiwillig haben Kinkel und Rühe das Problem gestern in wünschenswerter Weise deutlich gemacht. Rühe will, wie er sagt, „den Blick von der Vergangenheit wenden“, und Kinkel kennt keine andere Verfassung auf der Erde, die die Entsendung von Soldaten nicht in ähnlichem Umfang erlaubt – mit einer Ausnahme, die der Außenminister freundlicherweise auch noch nennt: Japan. Ja, war da nicht was?
Es ist eine Zwecklüge, wenn behauptet wird, die Welt warte dringend auf deutsche Kampftruppen. Bisher läßt sich nirgends erkennen, daß die von der Koalition beschworene weltweite „Friedenssicherung“ das vorrangige Ziel sei, das die unter dem UNO-Mäntelchen operierenden Alliierten mit ihren Interventionen (Irak) oder Nicht-Interventionen (Bosnien) bisher verfolgten. Die Vehemenz, mit der die deutsche Regierungskoalition auf ihrer „Alles oder nichts und das sofort“-Position beharrt, mutet deshalb geradezu fundamentalistisch an. Warum aber nicht den Deutschen und ihren Nachbarn die Gelegenheit geben, Erfahrungen zu sammeln und sich deshalb zunächst auf Blauhelm-Missionen zu beschränken? Sind denn etwa die Japaner, die es genauso machen, einfach zu schüchtern? Nein. Sie sind klüger. Hans-Martin Tillack
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