■ Die Berliner SPD will nicht regieren, für Walter Momper ein kollektives Sich-Drücken vor der Verantwortung: Parteivorstand in Fluchtbewegung
taz: Herr Momper, vor der Wahl hat Ingrid Stahmer erklärt, über mögliche Koalitionen werde am Wahlabend entschieden. Nun sollen die Wähler noch bis Dezember auf eine Entscheidung warten.
Walter Momper: Es ist eine Zumutung für die Wähler, wenn die Stadt nicht bald eine handlungsfähige Regierungs- und Parlamentsmehrheit bekommt. Die braucht sie insbesondere, um die desolate Finanzlage in den Griff zu bekommen. Jeder weiß, daß aufgrund der veränderten Steuerschätzung im kommenden Jahr ein Haushaltsloch von über einer Milliarde Mark droht. Um das zu bewältigen, bedarf es einer handlungsfähigen Mehrheit. Ich will, daß die Sozialdemokraten ihre Vorstellungen über eine aktive Arbeitsmarktpolitik und zur Sozialpolitik dabei einbringen. Deshalb will ich, daß sich die SPD in der Koalitionsfrage entscheidet. Diese Entscheidung muß noch im November getroffen werden und kann nicht bis zum Dezember warten.
Sie raten Ihrer Partei, zügig in die Große Koalition zu gehen?
Die SPD muß sich schnell entscheiden, ob sie in Koalitionsverhandlungen mit der CDU geht, wozu ich ihr rate, und zweitens, mit welchen Inhalten, und da sage ich: mit den sozialdemokratischen Inhalten, die bei der Haushaltskonsolidierung zu beachten sind. Diese Entscheidung muß bis Ende November getroffen werden. Und wenn sie nicht bis dahin getroffen, sondern weiter verschoben wird, werde ich mich für Neuwahlen einsetzen und jeden Sozialdemokraten auffordern, es ebenfalls zu tun.
Nun ist der Landesvorstand am Wochenende zu der Erkenntnis gekommen, daß die SPD bei keinem der für die Menschen wichtigen Themen die Meinungsführerschaft besitzt. Das ist nicht gerade eine gute Voraussetzung, weder für Neuwahlen noch zum Regieren.
Das ist sicherlich richtig und reflektiert die katastrophale Wahlkampfführung der SPD. Von daher ist dieser erste Schritt zur Selbsterkenntnis ein richtiger Schritt. Das hätten andere dem SPD-Vorstand allerdings schon im September sagen können. Ich bin jedoch sehr wohl der Meinung, daß man in der SPD genug Rezepte einer richtigen Politik hat, man muß sie nur anwenden.
Das scheint beim Wähler nicht so recht angekommen zu sein. Egal was die SPD macht, sie kann nur verlieren. Geht sie in die Opposition, heißt es, sie drückt sich vor der Verantwortung. Geht sie in die Regierung, vermag sie nicht, sich gegen die CDU zu profilieren.
Man kann sich sehr gut in einer Regierung gegen den Partner profilieren – wenn man es richtig anfängt.
Wie fängt man es richtig an?
Man fängt damit an, daß man von vorneherein klarmacht, was sozialdemokratische Auffassungen sind und an jedem Kompromiß zeigt, was der sozialdemokratische Anteil ist. Wenn das fünf Jahre lang nicht gemacht worden ist, dann kann man das nur schwerlich im Wahlkampf nachholen. Wenn das auch im Wahlkampf nicht gemacht wird, dann sind die Leute völlig desorientiert. Das hat die SPD sich doch selber zuzuschreiben. Die SPD hat sich mit der Politik der eigenen Senatsmitglieder nicht identifiziert, und deshalb konnte sie die eigenen Erfolge auch nicht herausstellen.
Anscheinend ist mit der augenblicklichen SPD-Führung weder ein rot-grüner noch ein schwarz- roter Staat zu machen.
Da ich alle Menschen für lernfähig halte, halte ich auch den Landesvorstand der Berliner SPD für lernfähig. Wenn die erst merken, daß die Berliner nicht so geduldig mit der SPD sind wie der Landesvorstand mit der eigenen Partei, dann werden die sich schon auf die Beine machen.
Im Moment herrscht in der SPD die Kultur der vorgehaltenen Hand. Die Masse der Sozialdemokraten weiß genau, daß die Stadt eine handlungsfähige Regierung braucht, weiß auch, daß unsere Wähler das von uns erwarten, und sagt es hinter vorgehaltener Hand auch. Gleichwohl wird von einigen eine verantwortungslose Politik gemacht, nämlich aus der Verantwortung geflüchtet. Und wenn der Vorstand erklärt, alles in der Sozialdemokratie muß auf den Prüfstand, dann ist das die nächste Fluchtbewegung. Erst wird gesagt, wir haben keine vernünftige Programmatik, dann wird gefragt, für welche Bevölkerungsgruppen sind wir noch da, und schließlich wird die abwegige Diskussion darüber geführt, ob wir noch eine Volkspartei sind oder nicht. Ich kann nur sagen, die SPD muß sich auf die ganz einfachen Erwartungshaltungen der Wählerschaft in den Bereichen Soziales, Wohnungsbau und Arbeitsmarkt konzentrieren.
Falls die SPD sich in der von Ihnen vorgeschlagenen Weise in einer Großen Koalition profiliert, befürchtet Egon Bahr den Eindruck eines abstoßenden Gezerres.
Egon Bahr negiert seine eigenen Erfahrungen. Er weiß aus Erfahrung sehr genau, daß ein Juniorpartner in einer Großen Koalition durchaus Profil gewinnen kann. Was Egon Bahr und auch andere Sozialdemokraten sich zudem nicht klarmachen, ist die Berliner Verfassungslage: Es gibt keinen Weg in die Opposition, weil die Verfahren bei der Neuwahl des Bürgermeisters und der Senatoren für die SPD diesen Weg verbauen. Die Berliner CDU wird gegebenenfalls nicht lange fackeln und ihrerseits Neuwahlen betreiben ...
... und den Schwarzen Peter der SPD zuschieben.
Genau. Die Variante der Duldung einer CDU-Minderheitsregierung, auf die viele spekulieren, halte ich für noch abwegiger. Das hieße, Verantwortung für alle unangenehmen Dinge zu übernehmen, ohne sie beeinflussen zu können. Wenn die SPD nicht in der Lage ist, das Hauptziel, nämlich das eigene Programm, in Regierungstätigkeit umzusetzen, zu realisieren, dann muß man das Abgeordnetenhaus auflösen. Für die Aufstellung der Abgeordneten danach darf es innerhalb der SPD nur ein Kriterium geben: ob ein Kandidat auch bereit ist, eine Regierungsbeteiligung einzugehen oder nicht. Bei der Berliner SPD ist ja das kollektive Drücken vor der Verantwortung weit verbreitet, das ist ja abenteuerlich.
Sind Sie denn bereit, Verantwortung zu übernehmen? Stehen Sie zur Verfügung, um in einer Großen Koalition sozialdemokratisches Profil zu zeigen?
Ich stehe als einfaches Mitglied immer zur Verfügung, wenn es gilt, klares Profil zu zeigen. Dazu braucht man nicht Senator zu sein, wie manche Journalisten und karrierebewußte Sozialdemokraten meinen. Klares Profil ist allerdings vorrangig keine Frage der Person, sondern des Programms und des Willens, dieses Programm auch durchzusetzen. Interview: Dieter Rulff
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