Die Bahn wird privat: SPD überstimmt sich selbst
Die SPD will die Bahn doch privatisieren. Um ihrem Parteichef Kurt Beck nicht zu schaden, beschließt der Parteirat ein Bahnmodell, das den SPD-Grundsätzen widerspricht.
BERLIN taz Die SPD findet, dass "die Kernbereiche öffentlicher Daseinsvorsorge nicht den Renditeerwägungen" der Kapitalmärkte ausgesetzt werden dürfen. Das klingt umständlich, meint aber etwas Einfaches. Wo es um Grundbedürfnisse, wie etwa die Wasserversorgung, geht, ist der Staat in der Pflicht.
Obiger Satz steht im Grundsatzprogramm der SPD, das die Partei vor einem halben Jahr in Hamburg beschlossen hat. Dieses Programm war ein Zeichen, dass die Partei noch lebte. In der Schröder-Ära war sie Anhängsel der Regierung, oft erpresst durch Machtworte. Der Hamburger Parteitag sollte das ändern. Er sollte der SPD-Basis ihr Selbstbewusstsein wiedergeben. Und Sinn.
Das SPD-Programm hat die erste Konfrontation mit der harten politischen Wirklichkeit nicht überstanden. Der Parteirat hat gestern mit einer Mehrheit von drei Vierteln beschlossen, den Bahnverkehr zu 24,9 Prozent zu privatisieren - obwohl die Bahn zweifellos "ein Kernbereich öffentlicher Daseinsvorsorge" ist. Im Präsidium war das Ja sogar einstimmig. Auch ein Sonderparteitag ist vom Tisch. "Machtfragen haben Sachfragen überlagert", so ein SPD-Linker. Will sagen: Wenn der von Kurt Beck ausgehandelte Bahn-Kompromiss gekippt wäre, dann hätte die SPD mal wieder einen neuen Parteichef gebraucht.
Die SPD hat ein paar Hürden ersonnen, um die Privatisierung der Bahn zu begrenzen. "Es wird keinen Rutschbahn in Richtung mehr Aktienanteil geben", verspricht SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Und: "Die 24,9 Prozent sind mit der Union nicht verhandelbar." In der Union wollen viele einen höheren Aktienanteil. Allerdings will Unions-Fraktionschef Volker Kauder beim Koalitionstreffen am nächsten Montag die 24,9-Marge der SPD akzeptieren - als Einstieg in die weitere Privatisierung.
Die SPD versucht indes möglichst wasserdicht zu machen, dass der Aktienanteil in der neuen Holding DB Mobility Logistics AG 24,9 Prozent nicht übersteigt. Dafür will die SPD dies vertraglich zwischen Bund und Bahn AG fixieren. Außerdem soll die 24,9-Marge in dem Tarifvertrag, den die Gewerkschaft Transnet mit der Bahn schließt, festgelegt werden. Allerdings liegt der taz ein Papier vor, das zeigt, dass Transnet die 24,9-Prozent-Marge bereits aus einem Tarifvertragsentwurf entfernt hat. Laut Hubertus Heil ist der Tarifvertrag mit 24,9-Bindung ein "Ziel" - und Ziele muss man bei Tarifverhandlungen bekanntlich auch mal aufgeben. Die Hürde "Tarifvertrag" der SPD ist sehr niedrig, wenn man genauer hinschaut.
Die SPD-Linke scheint trotzdem zufrieden mit dem Ergebnis zu sein - und zwar nicht nur aus Einsicht in die machtpolitische Notwendigkeit. Hermann Scheer, der als Erfinder des "Volksaktienmodells" gilt, in dem die Aktionäre keine direkten Einfluss auf das Unternehmen haben sollten, unterstützt den neuen SPD-Vorschlag. "Das ist besser als das Volksaktienmodell", so Scheer zur taz. Denn, so das Argument, die SPD hat die ursprüngliche Bahnreform verhindert, die vorsah, dass 49,9 Prozent des Bahnverkehrs und der Infrastruktur privatisiert werden. Netz und Bahnhöfe bleiben nun Staatsbesitz. "Wir haben doch etwas erreicht", so Scheer zur taz.
Die SPD-Linke rollt die Fahne ein. Die Juso-Chefin Franziska Drohsel meint zur taz: "Für uns Jusos ist das eine Niederlage." Denn dies könne der Einstieg in eine weitergehende Privatisierung sein. Noch entschiedener urteilt der frühere SPD-Parlamentarier Peter Conradi: "Das ist für die Rechte ein Sieg, für die Linke eine Blamage. Es gibt nun mehr Privat und weniger Staat." Die Idee, mit Verträgen den Aktienanteil verbindlich zu begrenzen und die befürchtete Stilllegung nicht profitabler Fernverkehrsstrecken zu verhindern, sei, so Conradi zur taz, "Augenwischerei." Der Bahnverkehr werde "teurer und weniger". Und: "Beck hat sich als Parteichef mit dieser Entscheidung disqualifiziert." Für seine konsequente Ablehnung der Teilprivatisierung hat Conradi zwar viel Zuspruch der SPD-Basis erhalten, doch machtpolitisch hat er in der Partei nichts mehr zu melden.
Die Teilprivatisierung der Bahn wird kommen. Es gibt zwar noch Streitpunkte zwischen Union und SPD - aber beide wollen einen Kompromiss. Hubertus Heil meint dazu: "Wir verhandeln nicht auf Scheitern."
Der Bahnkompromiss ist ein Sieg für Beck. Er hat bewiesen, dass die SPD handlungsfähig ist, die Linke ruhiggestellt und die SPD-Rechte eingebunden. Für die SPD ist insofern alles im Lot.
Allerdings sind mehr als zwei Drittel der Bundesbürger und sogar 56 Prozent der FDP-Wähler gegen eine Bahnprivatisierung. Die Reform der Bahn hätte 2009 ein äußerst effektives Wahlkampfthema für die SPD werden können - wenn sie sich nur an ihre eigenen Beschlüsse gehalten hätte.
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