■ Die Automobilindustrie fährt in die Krise: Der Turbo stottert – Applaus!
In der Bundesliga steckt ein Verein, wenn er zweimal verliert, „in der Krise“. In der Marktwirtschaft geht es noch schneller. Kann eine Branche ihr Vorjahresergebnis nicht mehr steigern, verdunkelt sich sofort der Horizont. Wie jetzt bei den Autobauern. Die deutsche Automobilindustrie hat in den letzten Jahren glänzend verdient. Jetzt rutscht sie in die Normalzone und damit in die Krise. So will es das Gesetz des ewigen Wachstums. Angesichts der bestehenden Autoflotte ist das allerdings kein Grund zur Beunruhigung. Jedes Auto, das nicht verkauft wird, ist ein gutes Auto und ein Stinker weniger.
Die Autoindustrie will mit Rezepten von vorgestern der Krise davonfahren: neu designte Modelle, ein paar PS mehr, ein bißchen Airbag und Seitenaufprallschutz. Und eine noch aggressivere Werbung. Bei Volvo darf ein tarzanartiger Schönling neuerdings wieder als Wildsau mit 250 durch unberührte Landschaft brezzeln, daß hinten die Staubfontäne kräftig wirbelt. Das nennt man Freiheit.
Darf man mit dieser Zunft Mitleid haben? Sollen wir um diese Arbeitsplätze zittern? Wer das tut, muß zur Strafe zehnmal den roten Werbe-Volvo ohne Staubschutz, Ohrenschützer und Kotztüte an sich vorbeifahren lassen und ihn anschließend volltanken.
Es gibt keine andere Industrie, die sich der Zukunft hartnäckiger verweigert als die Autobauer. Je beunruhigender die Umweltreports werden, desto dicker werden die Rallyestreifen. Der durchschnittliche Benzinverbrauch der bundesdeutschen Autoflotte 1993 liegt um mehr als zwei Liter über demjenigen der 60er Jahre. Nie war die Branche weiter von einem zeitgemäßen Ökomobil entfernt: klein, leicht, leise, extrem sparsam, voll recycelbar, wenig PS, viel Öko- High-Tech. Die Produktion eines solchen Autos würde aber ein vollständiges Umdenken, einen „Paradigmenwechsel“ voraussetzen, der die Modellpolitik der letzten Jahrzehnte ad absurdum führt. Ein Ökomobil wäre ein Stück Autokritik auf Rädern. Das riskiert niemand.
Statt dessen hat Ford sechs Milliarden Dollar in sein sogenanntes Weltauto „Mondeo“ gesteckt. Das ist mehr als alle Länder der Erde zusammen in den letzten zehn Jahren in die Entwicklung der Solarenergie investiert haben. Und was ist dabei herausgekommen? Ein schwergewichtiger, spritfressender, müder Abklatsch dessen, was zwischen Hiddensee und Bodensee sowieso schon täglich im Stau steht. Ein überflüssiges Stück Blech.
Die Automobilindustrie ist in der Krise. Vermutlich wird es ihr erst wieder bessergehen, wenn sie nicht nur gegen die Absatz-, sondern auch gegen die Umweltkrise kämpft. Solange sie das verweigert, können wir nur applaudieren, wenn die VW-Aktie den freien Fall ausprobiert. Manfred Kriener
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