■ Die Aussichten des Bündnisses „Vaterland – Ganz Russland“: Stabile Unsicherheit
Mit der Gründung des Wahlblocks „Vaterland –Ganz Russland“ sind die für den Dezember anberaumten Parlamentswahlen zwar noch nicht entschieden. Sollte indessen auch noch der ehemalige Premierminister und Publikumsliebling Jewgeni Primakow andocken, dann werden chauvinistische Rechte und rotbraune Kommunisten ihre bequeme Mehrheit in der Duma nicht wiedererlangen. Die russische Legislative hätte endlich die Gelegenheit, sich statt mit Ideologie und symbolischer Politik mit ihrer gesetzgebenden Aufgabe zu befassen. Ein wenig Verlässlichkeit und Vernunft würden dem schlechten Ansehen der Volksvertretung zum Wohle gereichen.
Unterdessen offenbart der Schöpfungsakt des Koalitionsbündnisses ein gravierendes Manko des postkommunistischen Russlands. Auch zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Einparteienherrschaft fehlt es im Lande an einflussreichen Institutionen, wie sie aus einer zivilen Gesellschaft hervorgegangen wären.
Das neue Bündnis ist nicht mehr als eine wahltaktische Vereinigung, die weder über ein gemeinsames Programm verfügt noch sich auf eine soziale Basis stützen könnte. Parteien im westlichen Sinne, die ihre Rolle als Meinungsbildner wahrnehmen, gibt es bisher nicht – sieht man von Jabloko, der Organisation des Reformers Gregori Jawlinski, ab, die mit zehn Prozent beim Urnengang gut bedient wäre. Das Luschkow-Bündnis zeigt unterdessen, wie sehr die von der Demokratie à la Russe enttäuschten Russen noch immer dazu neigen, recht autoritären Führungsfiguren ihr Schicksal anzuvertrauen. Die Vorstellung des guten Zaren, der auch gibt, statt nur zu nehmen, lebt im Bewusstsein beharrlich fort. Sobald er verteilt, schaut man über andere – politische – Schwächen großzügig hinweg.
Die Wandlung vom demokratischen Hoffnungsträger zum machtversessenen Patriarchen, dem es vornehmlich nur noch um die eigene Fortune geht, hat Boris Jelzin auf ernüchternde Weise vorexerziert. Die Koalitionäre sind von ähnlichem Kaliber. So hängt es allein von dem siechenden Kreml-Chef ab, der in dem neuen Bündnis einen gefährlichen Widersacher gewahrt, ob die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen überhaupt stattfinden werden. Kein russischer Herrscher verließ aus freien Stücken den Thron. Die Angst vor der Rache der Erben und das Wissen um die eigenen Verfehlungen blockierten den friedlichen Abgang. Russland bewegt sich – aber leider nur sehr schwerfällig. Klaus-Helge Donath
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