■ Die Anderen: Die Pariser "Liberation" sieht den Fall Papon als exemplarisch für die offizielle Geschichtsverfälschung / "Le Monde" schreibt zu dem Papon-Prozeß / "Der Figaro" kommentiert dazu / Der Londoner "Guardian" kritisiert Israel
Die Pariser „Libération“ sieht den Fall Papon als exexemplarisch für die offizielle Geschichtsverfälschung an: Die Geschichte von Maurice Papon ist exemplarisch, weil seine Laufbahn 50 Jahre der französischen Mentalitäten widerspiegelt, ein halbes Jahrhundert abgelagerter Lügen, willkürlicher und unbeabsichtigter Komplizenschaften, mehr oder minder naturgemäßer Arrangements. Bis hin zu François Mitterrand, der öffentlich zugab, den Lauf der Justiz behindert zu haben, als es um Beihilfe von Franzosen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit ging, damit der französische Spiegel mit den fürchterlichen Wahrheiten verhängt bleibe. Es gibt Scharen von Papons. Offizielle Lügen, absichtliches Vergessen und verfälschte Gesichtsschreibung haben Emporkömmlingen die Möglichkeit gegeben, Karriere zu machen, ohne im geringsten behelligt zu werden.
„Le Monde“ schreibt zu dem Papon-Prozeß: Der französische Staat hat die zwischen 1940 und 1944 in Frankreich lebenden Juden in Karteien registriert, sie aus der Gesellschaft ausgegrenzt, ihnen ihr Vermögen genommen. Er hat mehrere zehntausend von ihnen festgenommen und interniert, bevor er sie an die Nazis auslieferte. Es hat 50 Jahre gedauert, bis ein französischer Staatspräsident dies offiziell anerkannte. Mehr als zwei weitere Jahre waren nötig, bis der Prozeß gegen den hohen Beamten Maurice Papon beginnen konnte, der die Deportation von Juden in Bordeaux organisiert hat. Es ist richtig, daß dieser Mann vor ein Schwurgericht gestellt wird.
Der „Figaro“ kommentiert dazu: Unser Land, das sich so gerne mit seiner napoleonischen und monarchischen Vergangenheit befaßt, war in bezug auf das Vichy-Regime lange Zeit vergeßlich. Man kann das verstehen: Unter der deutschen Besatzung haben wir uns bei weitem nicht alle lobenswert verhalten. Von de Gaulle bis Mitterrand haben unsere Präsidenten so getan, als sei Vichy nur eine Fiktion gewesen. Da es nicht existierte, brauchte Frankreich auch niemanden um Vergebung bitten.
Der Londoner „Guardian“ kritisiert Israel: Wenn es nach den Maßstäben der Vernunft ginge, sollte Netanjahu nicht länger Ministerpräsident Israels bleiben. Der fehlgeschlagene Mordanschlag in Amman, über den jetzt alle Einzelheiten bekannt sind, offenbart strategische und moralische Blindheit. Er hat die Kräfte gestärkt, die von Netanjahu als die Feinde Israels bezeichnet werden. Wenn er morgen zurückträte, würde dies nicht nur Israels Nachbarn und seinen Freunden, sondern der ganzen Welt Erleichterung bringen. Die USA und andere Regierungen der Welt, die Einfluß auf Jerusalem haben, sollten nicht davor zurückschrecken, Netanjahu zu zeigen, daß er sich mit den Terroristen auf dieselbe Ebene begibt.
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