■ Die Anderen: Zur Räumung der von Arbeitslosen besetzten Büros in Frankreich und über die Reaktion von Jospin schreiben "La Repubblica" und "Le Journal du Dimanche" / "Le Monde" zu Helmut Kohls Eingeständnis über die Arbeitslosigkeit...
Zur Räumung der von Arbeitslosen besetzten Büros in Frankreich schreibt „La Repubblica“ aus Rom: Dialog und Härte, einige Zugeständnisse und das Einschreiten der Polizei: Lionel Jospin hat die alte Vorgehensweise von Zuckerbrot und Peitsche gewählt, um der Besetzung von Büros durch Arbeitslose ein Ende zu setzen. Doch das grundsätzliche Problem ist damit nicht gelöst. Frankreich hat mehr als drei Millionen Arbeitslose, ein Drittel davon hat seit über einem Jahr keinen Job mehr. Jospin hat wie die anderen europäischen Regierungschefs kein Wundermittel parat, aber seine Bemühungen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit werden für die Wähler entscheidend sein. Die französische Gesellschaft ist in diesem Punkt fragiler als andere, weil dort das Elend ausgedehnter, sichtbarer als woanders ist. Die protestierenden Arbeitslosen waren nur wenige hundert, aber die öffentliche Meinung war auf ihrer Seite, weil sie das Symbol einer Gesellschaft waren, die immer unfähiger wird, die Schwächsten zu schützen.
„Le Monde“ aus Paris schreibt zu Helmut Kohls Eingeständnis, daß eine Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 nicht möglich sein wird: Das Geständnis: Helmut Kohl hat anerkannt, daß es nicht möglich sein wird, die Arbeitslosigkeit in Deutschland bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Diese 1996 eingegangene Verpflichtung des Kanzlers wandert also ins Museum für nicht gehaltene Versprechungen – wie auch die ,blühenden Landschaften‘, die Ostdeutschland schmücken sollten, oder die angekündigte Schaffung von 100.000 Stellen pro Jahr in der Ex-DDR. Die am Freitag veröffentlichten Arbeitslosenzahlen haben Kohl auf den Boden der Realität zurückgeholt.
Trotzdem vermittelt Deutschland bislang den Eindruck eines gewissen sozialen Friedens. Drei Faktoren erklären diese relative Ruhe: Die Struktur der Arbeitslosigkeit ist radikal anders als in Frankreich; die außergewöhnlich gute soziale Absicherung bewahrte den soziale Zusammenhalt, und schließlich verhindert eine Politik des Konsens offene Zusammenstöße.
Zu den Protesten der Arbeitslosen in Frankreich und der Reaktion von Lionel Jospin bemerkt „Le Journal du Dimanche“ aus Paris: Jospin hat diese Situation geerbt. Nach einigen Tagen des Zögerns kümmert er sich jetzt auch darum. Aber selbst angenommen, daß die Protestbewegung (der Arbeitslosen) aufhört, ist dann noch nichts gelöst. Der Zwang zum Erfolg ist jedoch für Jospin größer als für andere. Nicht nur, weil er zur Linken gehört (sie hat wie die Rechte und noch mehr als diese enttäuscht), sondern weil die Männer und Frauen um den Ministerpräsidenten und die Formationen der berühmten (sehr, sehr) pluralen Mehrheit dieser anderen Linken dem eingestandenen Defätismus von François Mitterrand eine Absage erteilt haben.
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