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■ Die Anderen"Il Messaggero" zum Versuch Moskaus, eine neue Regierung zu bilden / "Komsomolskaja Prawda" zu Tschernomyrdin als möglichen Nachfolger Jelzins / "Nesawisimaja Gaseta" zum kommissarisch eingesetzten Regierungschef Kirijenko

Die römische Zeitung „Il Messaggero“ kommentiert die Versuche Moskaus, eine neue Regierung zu bilden: Alles muß sich ändern, damit alles bleibt, wie es war. So heißt die Parole in Moskau. Nachdem Präsident Boris Jelzin mit einem Paukenschlag die gesamte Regierung entlassen hat, schält sich jetzt immer klarer heraus, daß die meisten Minister, zumindest die wichtigen, ihre Sessel auch in einem künftigen Kabinett behalten werden. Und das Erdbeben, das Regierungschef Viktor Tschernomyrdin hinweggefegt hat, nachdem er über fünf Jahre am Steuer Rußlands gestanden hatte, scheint immer mehr wie eine Mahnung Jelzins. Daß er selbst immer noch der absolute Chef ist, trotz Abwesenheit und Krankheit.

Die russische Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ schließt nicht aus, daß Jelzin in dem entlassenen Regierungschef Tschernomyrdin einen möglichen Nachfolger sieht: Jelzin hofft, daß Tschernomyrdin ihm die Treue bis zum Jahr 2000 bewahrt und unter der Flagge der [regierungsnahen] Partei Unser Haus Rußland die Wahlen als derjenige Kandidat antreten wird, den der Herr selbst bestimmt hat. Aber ehe Unser Haus zum allrussischen Partei-Sprungbrett wird, muß sein Führer viel schwitzen. Es ist kein Geheimnis, daß in der letzten Zeit die Bewegung im wesentlichen durch Sponsorengelder existierte – nicht zufällig nannte man sie scherzhaft „Unser Haus Gasprom“. Ob sich die Wohltäter diesmal nicht abkehren werden? Und noch etwas. In den Jahren seines Bestehens ist es Unserem Haus nicht gelungen, die Parteien demokratischer Orientierung um sich zu konsolidieren. Darauf scheint Präsident Jelzin vor allem zu setzen. Wenn es aber diesmal nicht klappt, so wird die Stütze für die Wahlen 2000 wackelig.

Die russische Tageszeitung „Nesawisimaja Gaseta“ meint zu dem von Jelzin kommissarisch eingesetzten Regierungschef Sergej Kirijenko: Die einzige Erklärung für die glänzende Karriere Sergej Kirijenkos liegt darin, daß er ausgewiesen unpolitisch ist. Gerade die unpolitische Haltung und nicht Professionalität haben ihm binnen eines Jahres den Weg vom bescheidenen Vize-Energieminister zum geschäftsführenden Regierungschef freigemacht. Nun leitet also zeitweilig (vielleicht aber auch nicht zeitweilig) ein Technokrat das Ministerkabinett, ein Technokrat vom Scheitel bis zur Sohle.

Aber ein Regierungschef, das sei nochmals unterstrichen, ist vor allem Politiker. Wenn der Technokrat Kirijenko aber Politiker wird, so muß er in allernächster Zeit seine ideologische Wahl treffen, wenn er das nicht schon getan hat. Dabei ist die Freiheit des kommissarischen Ministerpräsidenten nicht sehr groß. Er wird wohl ein solcher Politiker werden müssen, wie ihn Boris Jelzin und die Präsidentenumgebung zu sehen wünschen.

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