■ Die Anderen: "Le Monde", "Liberation" und "El Pais" schreiben zur Wahl von Gerhard Schröder zum Bundeskanzler / "La Repubblica" kommentiert den Ablauf des Nato-Ultimatums im Kosovo-Konflikt
„Le Monde“ (Paris) schreibt zur Wahl von Gerhard Schröder zum Bundeskanzler: Schröder wird Kanzler eines Deutschlands sein, das zum ersten Mal die Erfahrung einer Koalition zwischen Sozialdemokraten und Grünen macht. Er wird bald in eine neue Hauptstadt ziehen, und das in einem Moment, in dem die Deutschen mit ihren EU-Partnern eine neue Währung bekommen. Die Berliner Republik wird nicht mehr diese kleinbürgerliche und etwas langweilige Seite der Bonner Republik haben. Die ersten Entscheidungen der neuen Regierung werden ein Test für ihren Reformwillen sein. Der Übergang von Helmut Kohl zu Gerhard Schröder ist mehr als ein Generationswechsel – es ist ein Sprung in die Moderne.
„Libération“ (Paris) meint: Der künftige Kurs der Regierung Schröder ist noch ziemlich unscharf. Wird der neue Bundeskanzler ein Blair, ein Jospin oder ein noch anderes Modell sein? Seine Koalitionsvereinbarung mit den Grünen vermittelte den Eindruck, als steuere Deutschland nach links. Innerhalb weniger Tage wurde eine Reihe grundlegender Reformen angekündigt, die an tiefgreifende Umwälzungen glauben lassen. Es ist aber noch zu früh, um abzuschätzen, welchen sozialdemokratischen Weg Schröder einschlagen wird. Der Erfolg seiner Regierung wird fraglos von seiner Fähigkeit abhängen, so lange wie möglich die Verschwommenheit zwischen widersprüchlichen Tendenzen zu erhalten.
„El Pais“ (Madrid) meint zu Schröder: Schröder ist Kanzler, aber theoretisch ist Oskar Lafontaine derjenige, der die SPD kontrolliert und den manche mit seinem Superministerium bereits als einen ,heimlichen Kanzler‘ sehen. Aber Schröder hat gute Aussichten, sich an der Macht zu behaupten. Erstens trägt die Konstruktion der EU dazu bei, daß die Rolle des Regierungschefs gegenüber den Ministern gestärkt wird. Zweitens könnte Schröder, falls Lafontaine und die Grünen ihn zu sehr zu einem Linkskurs drängen sollten, die Koalition platzen lassen und sich mit der FDP verbünden. Für die Deutschen beginnt nun eine neue politische Erfahrung. Ihr Land wird in Europa eine wichtige Rolle spielen.
„La Repubblica“ (Rom) kommentiert den Ablauf des Nato-Ultimatums im Kosovo-Konflikt: Zu viele Dinge bedürfen noch einer Klärung. Die wahren Absichten Milošević etwa und die des Kosovo-Politikers Rugova, die Absichten der Extremisten des Unabhängigkeitskampfes und die der serbischen Nationalisten. (...) Die Kosovo-Kämpfer der UCK-Truppen haben keinen Hehl daraus gemacht, daß ihnen das Abkommen nicht paßt, das der US-Spitzendiplomat Holbrooke dem starken Mann in Belgrad hat aufzwingen können. Es ist sicher, daß die UCK nach dem Teilrückzug der Serben wieder zum Angriff übergehen werden, und nicht einmal die Nato wird Milošević dann noch aufhalten können.
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