Die Achse des Soul – von Tobias Rapp : Die Letzte wird die Erste sein
Manchmal spucken Genres ihre Meisterwerke erst aus, wenn die Aufmerksamkeit sich längst anderem zugewandt hat. Tief unterhalb des europäischen Hippness-Radars ist mit Jill Scotts zweitem Album „Beautifully Human“ gerade eine der schönsten Platten des Nouveau Soul erschienen, einer Musikrichtung, die man eigentlich auf dem Weg in die selbst gewählte Selbstgefälligkeit wähnte. Wie ihre Vorgängerplatte aufgenommen in Jazzy Jeffs A Touch Of Jazz-Studios in Philadelphia verbindet „Beautifully Human“ begnadetes Songwriting mit einer großartigen Produktion. Ob es die Skizze eines Familientreffens ist („Family Reunion“) oder ein Song über den Mord an einem Fünfzehnjährigen, bei dem die junge Jill Scott Zeuge war („Rasool“): die Stücke glänzen im Licht ihrer Perfektion. Natürlich atmet diese Musik ein Retrogefühl, aber vielleicht kann man diese Art von Intimität nur herstellen, wenn man sich bei Klängen bedient, die an eine vergangene Zeit erinnern. Doch die akustische Erinnerungsspur führt in die Irre: diese Musik ist radikal zeitgenössisch. Nicht nur musikalisch: keines der Stücke wäre damals so arrangiert und eingespielt worden. Wichtiger ist: diese Art von selbstbewusster künstlerischer Subjektivität verdankt Minnie Ripperton so viel wie Janet Jackson, Tupac oder Toni Morrison.
Jill Scott: „Beautifully Human: Word And Sound Vol. 2“ Hidden Beach
Groovendes Glück
64 Jahre wird Roy Ayers heute alt, und es dürfte nicht nur der Umstand sein, dass es sich als Jazzmusiker nach wie vor am glaubwürdigsten altern lässt, der ihn bis heute on top of the game stehen lässt. Nun ist Ayers nicht einer der meistgesampelten Künstler der Musikgeschichte, im Grunde basiert ja das ganze Schaffen von Roy Ayers auf eleganten musikalischen Kreisbewegungen, die den einen großen, wunderbaren Groove immer wieder umschmeichelten. Allein schon deshalb macht es Sinn, wenn er, nachdem er im Frühjahr eine Compilation mit vorher unveröffentlichten Stücken aus den Siebzigern herausbrachte, auf seiner neuen Platte „Mahogany Vibe“ einige seiner Klassiker noch einmal neu einspielt. Zumal wenn er Stücke wie „Searching“ oder „Everybody Loves The Sunshine“ heuer von Sängerinnen wie Erykah Badu oder Betty Wright einsingen lässt. Ansonsten bleibt er dem Sound seiner Platten aus den Siebzigern treu, die Rhythmen haben den nötigen Platz zur fluffigen Entfaltung, und immer wieder erhebt Ayers seine Stimme, um die Menschheit zur „Unity“ aufzufordern. Ein wenig geruhsamer ist Ayers mittlerweile geworden, ohne jedoch an Tightness einzubüßen. Gekonnt ist eben gekonnt. Man kann sich Roy Ayers als einen der wenigen wirklich glücklichen Menschen des Planeten vorstellen.
Roy Ayers: „Mahogany Vibe“. Rapster
Ein Tape voller Lieblingslieder
Nicht dass man bei diesen Stücken allzu viel falsch machen könnte: Für sein neues Album „Studio 150“ soll Paul Weller mit einem Tape Lieblingssongs in ebenjenes Studio in Amsterdam gegangen sein, um sie innerhalb einiger Tage mit seiner Band einzuspielen. Rose Royce’ „Wishing On A Star“, Gil Scott-Herons „The Bottle“, Nina Simones „Black Is The Colour“, Aaron Nevilles „Hercules“, Sister Sledges „Thinking Of You“, Bob Dylans „All Along The Watchtower“. Klassiker eben, und ein paar nicht weniger wunderbare, wenn auch unbekanntere Stücke. Doch waren nicht alle Unternehmungen des Modfathers auch immer Versuche, aus einer tief empfundenen Liebe zur Musik des schwarzen Amerika heraus diese für sich zu übersetzen? Von The Jam über Style Council bis zu seinen diversen Solowerken? Tatsächlich gelingt es Weller jedes einzelne Stück so sehr zu seinen eigenen zu machen, wie das wahrscheinlich nur mit den paar Stücken möglich ist, die man im Club, im Auto, beim Sex, beim Kochen – kurz in jeder möglichen Lebenslage – so oft mitgesungen hat, dass die eingekapselten Gefühle und Geschichten schon lange Teil des Selbst gewordenen sind. Und gleichzeitig ist diese Platte getragen von einer beiläufigen Leichtigkeit, die einem das Gefühl vermittelt, als habe Weller tatsächlich nichts anderes im Sinn gehabt als ein Tape mit schönen Stücken aufzunehmen. Nie nimmt sie sich so wichtig, wie sie von anderen genommen werden wird.
Paul Weller: „Studio 150“. V 2