Die Achse des Rock von Harald Fricke : Zwischen Straße und Kunsthochschule
Proletkult und Kunsthochschule gehen in London gut zusammen. Auf dem Debüt von Art Brut gibt es mit „Modern Art makes me want to rock out!“ eine Songzeile, die das Verhältnis besser als jeder andere Britpop zum Tanzen bringt. Auch sonst hält die Band, was der Name verspricht: Lange hat man keine Stimme mehr gehört, die einen so nackt und blank und intensiv anspringt wie der Gesang von Eddie Argos. Hysterischer, atemloser Cockney Gefühlsecht, zwischen dreieinhalb Punk-Akkorde gepresst. Tatsächlich besitzt jedes Lied den Zauber unausgedachter Einfachheit, taugt die aktuelle Single „Moving To L.A.“ gleichermaßen als Ibiza-Hit oder im Fußballstadion.
Kein Zweifel, Art Brut haben es mit ihrem Album „Bang Bang, Rock ’n’ Roll“ geschafft, lauter Momente der Glückstrunkenheit zu versammeln, als wäre die Welt ein lärmender Pub. Zu dieser Begeisterung passt es denn auch, dass Argos keine zwei Töne gerade singen können muss, sondern lieber rhythmisch vor sich hin flucht. Als cleverer Diskurs-Entertainer bleibt er stets unberechenbar: Mal wünscht er sich an die Spitze von Top of the Pops, dann wieder erklärt er sich mit der ganzen Popkultur nicht einverstanden. Argos ist ein nörgelnder Quälgeist, dessen kantige Schönheit an Mark E. Smith erinnert, dann aber wieder zu ironischen Gesten einer Britpopdiva a la Jarvis Cocker ausholt. Diese Schieflage aus fröhlichem Pathos und tief empfundener Bitterness macht Art Brut nicht bloß smart, sondern wichtig.
Art Brut: Bang Bang, Rock ’n Roll (Fierce Pan/Cargo Records)
Vor den Überwachungskameras
Die Szene stammt aus Mike Leighs London-Film „Naked“. Ein Raver kauert irgendwo am Straßenrand. Er weiß nicht, wohin er noch gehen soll, das Geld ist auch längst alle, aber die Pillen hören nicht auf zu wirken. Solche Bilder gehen einem bei der Musik von Hard-Fi durch den Kopf. Das Elend der Vorstadtjugend gegen fünf Uhr Sonntag morgens, wenn im Morgengrauen die Einsicht kommt, dass das Leben falsch läuft. Eine Stunde später sitzt man dann doch wieder im Zug, verkatert und verfroren auf dem Weg zurück nach Staines, wo die vier kaum zwanzigjährigen Hard-Fi-Jungs aufgewachsen sind.
Ihre Unzufriedenheit ist groß, sie schlägt sich ungebrochen und kitschig in elf Depressionsminidramen nieder: Vom trotzigen Vollrausch am Wochenende („Living for the weekend“) bis zur verzweifelten Flucht aus der Provinz als freiwilliger Soldat im Irak („Middle Eastern Holiday“), dazu die Erkenntnis „just make sure you cause trouble when it’s necessary“. Es ist kein leichter Parcours durch die Gegenwart, den sich der Sänger und Songschreiber Richard Archer auf „Stars of CCTV“ – der Titel spielt auf die überall in London installierten Überwachungskameras an – vorgenommen hat.
Immerhin hilft ihm sein Sinn für großartige Melodien, wenn er den groovenden Wahnsinn der Happy Mondays, die aufgestaute Wut der Clash und bekifften Disco-Dub aus den frühen Achtziger-Clubs von Brixton zitiert. Tolle Songs auf einer traurigen Platte.
Hard-Fi: „Stars of CCTV“ (Warner Music)
Auf dem Jahrmarkt
Den Fun und den Frust der Jugend hat Lawrence hinter sich. Mit The Felt war er Teil der Post-Punk-Bewegung, bevor die Band nach zehn Platten bei Easy-Listening-Instrumentals landete und sich 1989 auflöste. In den Neunzigerjahren wollte Lawrence dann mit Denim durchstarten, doch die schnodderigen Lieder über seine helle Freude an K-Tel-Platten, Osmonds und Schlaghosen oder seine Abneigung gegen die Eighties waren etwas zu abwegig für den breiten Strom des Britpop. Folglich hörte man zehn Jahre nichts mehr von dem Sänger mit der weichkäsehaft quengelnden Stimme, der in der Zwischenzeit offenbar viele Drogen ausprobiert hat – auch harte waren wohl dabei, das sieht man an seinem ausgemergelten Körper auf dem Innencover der CD zum neuen Lawrence-Projekt mit dem wieder schwer nach Flop klingenden Namen Go-Kart Mozart.
Die Musik ist oft nur eine Skizze, aber mit Chartappeal: Jahrmarktsrummelpop und speedig quietschender Glampunk, dazu wird die Abscheu vor dem Altwerden beklagt oder hübsch sentimental aufgezählt, worin sich England und Wales unterscheiden, weil es im Pop doch so sehr auf Unterscheidungen ankommt. Der Sound stammt derweil aus New-Wave-Synthies und Rhythmusmaschinen, wie sie vor 25 Jahren in Mode waren. Deshalb sucht Lawrence dringend einen möglichst jungen Gitarristen, wie er im Booklet zur CD schreibt, „must be unemployed – bored – desperate to make your mark“. Hoffentlich findet er ihn.
Go-Kart Mozart: „Tearing up the album chart“ (Cherry Red/Rough Trade)