Dichter in Dünen IV : Watt’n dat? Im Klo der Schweinswale
Wenn schon Inselschreiber, so der Gedanke, sollte man zumindest einmal an einer Wattwanderung teilgenommen haben. Also fuhren wir zur Südspitze der Insel, wo ein mit einer Mistforke bewaffneter Zivildiener (was für ein Paradoxon!) der Wattschutzstation Hörnum eine Gruppe von an die fünfzig Menschen um sich scharte, mit ihnen das Watt zu durchwaten.
Obwohl meine Liebste keine Wurmbrand-Stuppbach ist und auch nicht aus Wurmsbach stammt, wohnt sie doch nicht nur in einer Wurmgasse zu Linz, sondern hat eine echte, bisher verborgen gebliebene Wurmphobie. Ihr war die ganze Wattwanderung verdächtig. Irgendwas wurmte sie, nämlich der Wattwurm, dieser Sylter Wurmfortsatz von Loch Ness, von dem sie mal gehört hatte. Ich, in Sachen Wurm völlig unwissend, beruhigte sie, wie nur ein Unwissender beruhigen kann. Wir scherzten, dass der eigentliche, gemeine, ekelhafte Wattwurm die aufgefädelte Gruppe der Wattgeher sein müsse, die das Jo in Jogger wie in Jojo aussprachen, von Pizza mit Pommes träumten oder Parfüms applizierten, denen selbst die Bezeichnung Hurendiesel nicht gerecht wird.
Schließlich erreichten wir das Watt, wo uns jede Menge spaghettiförmige Häufchen entgegenlachten, die wir im ersten Schreck gleich für den ominösen Wattwurm hielten. Hier ist das Klo der Schweinswale, meinte der Zivi – als Scherz. Meine Liebste fand das gar nicht komisch. Aber was konnte das sein? Krabbenscheiße? Sedimente? Würstchenstalagmiten? Jedenfalls grauenvoll. Meine Holde spreizte ihre Finger, verkrampfte sich, litt Todesängste und stieg trotzdem tapfer in die See des Grauens, während ich versuchte, von den vielen kleinen Häufchen, die da in der dunklen knöcheltiefen Brühe lagen, abzulenken. „Schau“, ich zeigte auf das Leibchen eines Wattologen, das die Insel im Grundriss abbildete, „Sylt sieht aus wie eine tanzende Rohrzange oder wie ein zur Reinigung eines verstopften Klos verbogener Kleiderbügel. Den Ellenbogen hat man nur so benannt, damit man nichts Primäreres mehr damit assoziiert.“
Der Zivildiener hielt inzwischen eine Muschel mit ausgefahrenem knoblauchzehengroßem Grabemuskel in die Höhe und erklärte, dass diese Schalentiere Wasser filtern und deshalb beim Verzehr so gesund sind wie ein gegrillter Aquarienfilter. Meine Liebste aber ging weiter wie auf rohen Eiern durch das spaghettihäufchenübersäte Watt und fürchtete jetzt mehr denn je, dass die Mistforke nur dazu da sein könne, den gemeinen, ekelhaften Wattwurm freizulegen.
„Ach geh.“ Ich nahm ihre Hand. „Einen Wattwurm gibt es nicht, nur einen James, der Strom auf der Gurke hatte. Weißt du eigentlich, woher der Name Hörnum stammt? Weil Hörn soviel wie Hörnchen, nein, Spitze heißt. Und Tinnum ist der Ort der Büchsen. Aber Büchse bedeutet ja auch Dose, Möse. Also Rotlichtmilieu? Und Keitum? Ist nicht Kite der Wind? Steht Rantum für den Rand? Ein randiger Ort? Und Usum? Morsum? Sumsum? Brunzdum?“ So erreichten wir endlich eine Sandbank, von der wir schnell zurück zu unseren Schuhen liefen.
Zu Hause gruben wir uns gleich ins Internet, um etwas über die Herkunft dieser Spaghettihäufchen zu erfahren. Und siehe da, das waren doch tatsächlich Ausscheidungen eines in 20 Zentimeter Tiefe lebenden Wurms. Uahhhh, schrie meine wurmpanische Liebste: „Ich hab’s gewusst, wir sind durch Wurmscheiße gewatet. Himmel, Arsch und Wurm! Wenn man diese Tiere angreift, lassen sie ihr Hinterteil zurück. Der Damokleswurm! Garnichtlindwurm! Gut, dass wir geflüchtet sind.“
Ich aber, den vor Würmern nicht sehr graust – in meiner Kindheit waren diverse Mutproben damit verknüpft– beschließe, eine Eloge auf den Wurm zu schreiben. Auch gefällt mir der Gedanke, dass all die Reichen und Schönen und Schnösel irgendwann alle, weil eine Wattwanderung einfach dazugehört, durch eine öffentliche Wurmtoilette wandern. So Watt? FRANZOBEL