piwik no script img

■ Deutschland anonym„Ich suche eine kreative Perspektive“

Wie ist das eigentlich, wenn man als junger, unbekannter Ostfriseur einen Laden am teuren Spreeufer eröffnet?

Das ist schon fast eine Kampfansage an die arroganten Westfriseure, die denken, sie hätten die Kreativität für sich gepachtet.

Was wollen Sie erreichen?

Schon bald soll in Modezeitschriften stehen: Wenn Sie in Berlin zum Friseur wollen, gehen sie ans Spreeufer, nicht mehr an den Kudamm. Da hocken nämlich alte, eingetrocknete Männer, die Ihnen weismachen wollen, daß sie die Mode bestimmen.

Ihr wunderschöner blauer Haarsalon erstreckt sich über zwei riesige Etagen, aber nur manchmal sitzt eine Kundin hier. Lange können Sie die teure Miete nicht halten. Kann es nicht sein, daß die fetten Kudamm-Friseure Sie ganz lässig am ausgestreckten Arm vertrocknen lassen?

Was glauben Sie, wie zäh ich sein kann. Ich habe immerhin drei Läden. Die beiden anderen tragen diesen hier noch eine lange Weile.

Sie frisieren in Marzahn und in Friedrichshain. Treiben Sie beim Haareschneiden Sozialstudien?

Ja. Das ist toll. In Marzahn kommen ganz junge und ganz alte Leute. Und immer, wenn ich da bin, spüre ich, wie eigenartig die Kundinnen sind. Die sind so frustriert, daß es egal ist, was man mit ihnen veranstaltet. Für sie ist alles Quark. Bei denen merkst du, daß der Frust gegen alles, was sie umgibt, von tief innen heraus kommt. Die kommen mit der Wende wirklich nicht zurecht. Daneben gibt's aber die, die viel Geld verdienen und auch wegwollen aus den Plattenbauten. Die sind modisch, aber auch viel bewußter und selbstsicherer.

Und im alten Arbeiterbezirk Friedrichshain?

Ist alles ganz anders. Der liegt an der Grenze zu Westberlin. Da kommen die arroganten Wessis

Seine Karriere begann, als er vom Militärdienst entlassen wurde. Beim Fernsehen der DDR lernte er Maskenbildner. In seiner Freizeit organisierte er Vernissagen. Direkt nach den Wende machte er sich als Friseur selbständig. Heute besitzt der 28jährige drei Salons. Der schönste von allen liegt in der Berliner Friedrichstraße, am Ufer der Spree.

an, die ein paar Mark sparen wollen. Aber auch viele Aussiedler und alte Frauen, die die Ostdauerwelle wollen. Und hier im neuen Salon an der Spree lassen sich gerne solche frisieren, die mehr darstellen wollen, als sie sind. Die Ossis, die schon aufgestiegen sind und jetzt zur besseren Schicht dazugehören.

Zu denen gehören Sie doch auch.

Nein. Da geht es mir zu oberflächlich zu. Ich brauche keine Wohlstandszeichen wie Auto und so. Ich brauche kreative Perspektiven für mich und eine Lebensperspektive für meine Familie.

Die ziehen sie aus einem Frisiersalon?

Ich muß meinen Eltern jetzt einen Weg zeigen. Mein Vater hat mit der Wende alles verloren, für das er gelebt hat. Seine Arbeit. Zu DDR-Zeiten hat er russische Filme synchronisiert, die dann mit der Wende quasi verboten wurden. Er hat seine Ideologie verloren. Er war Parteisekretär. Er sagt heute noch, daß er dahintersteht und sich keine Vorwürfe machen muß. Er hat das Grundstück verloren, auf dem er lebte. Alles, für das er 60 Jahre gearbeitet und gekämpft hat, war auf einen Schlag weg. Heute kümmert er sich um die Einkäufe und Reparaturen in den Läden, meine Mutter macht die Buchhaltung.

Das klingt, als wenn sie das am Leben hält.

Ja, so ist es.

Fühlen Sie sich dazu verpflichtet, den enttäuschten Lebenswegen der Eltern eine Art Wiedergutmachung entgegenzustellen?

Ja. Ja. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, das wiedergutzumachen, was sie mir gaben. Ihnen etwas zurückzugeben. Etwas, was ihnen das Altwerden in einem erträglichen Rahmen ermöglicht.

Sind Sie wütend darüber, daß Ihre Eltern den Kampf aufgegeben haben?

Eher traurig. Jetzt ist die Luft raus aus dem Kämpfer. Ich mache aber auf meine Art weiter. Interview: Annette Rogalla

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen